50. Annalen der Hydrographie und. Maritimen Meteorologie, Februar 1926.
Packeis zu einem weit um die beiden Schiffe reichenden, kaum noch zu durch-
dringenden, mannshohen, festen Eisfelde zusammengepreßt wurden, Die Bean-
spruchung des Maschinenpersonals war unter diesen Umständen enorm. Seit der
Indienststellung des Schiffes wurde an diesem Abend die höchste Umdrehungs-
zahl innerhalb von 4 Stunden (16 500 Umdrehungen pro Maschine, auf Vorwärts-
und Rückwärtsgang gleichmäßig verteilt) beobachtet. Immer häufiger fielen die
Kondensatoren durch Vorlagerung von großen Eisschollen. vor den Ventilen aus;
die Maschinen mußten stoppen. Unter diesen Umständen mußte der Versuch,
das Fährschiff noch bei Nacht loszubekommen, aufgegeben werden. Gefahr für
das Schiff bestand vorerst nicht, da das Eistreiben an dieser Stelle von Land
Freisetzte. B. blieb mit gestoppten Maschinen in der Nähe liegen, um am nächsten
Morgen bei Hellwerden die Versuche erneut aufzunehmen, Unerklärlicherweise
lief „Deutschland“ noch an demselben Abend zur Fahrt nach Trälleborg wieder
aus und blieb erneut, etwa 1000 m von dem schwedischen Fährschiff entfernt,
im Eise liegen. Ich hatte das Fährschiff, als ich durch einen Funkspruch des
„Konung Gustay V“ nach Trälleborg von dem beabsichtigten Auslaufen der
„Deutschland“ erfuhr, noch einmal zu warnen versucht.
Am 26. II. wurden während der Nacht die Eispressungen so stark, daß bei
B. Eisschollen bis zum Außendeck heraufgedrückt wurden und das Schiff um
mehrere Grad krängte, Bei Hellwerden fuhr ich zur „Deutschland“, versuchte
durch Vorbeischeren am Schiff ‚seitlich das Eis loszubrechen und schaffte dann
vor „Deutschland“ eine Fahrrinne, Das Eis preßte jedoch sofort wieder derart
stark nach und klemmte das Schiff seitlich fest, daß „Deutschland“ weder mit
eigener Kraft, noch durch einen Schleppversuch, bei dem die 14-cm-Stahlleine
trotz geringster Fahrt: brach, loskommern konnte. Gelegentlich des Umkehrens
zu einem neuen Anlauf fuhr ich möglich nahe bei „Konung Gustav V“ vorbei,
das hinter ihm etwas losere Eis spaltete sich .in der Richtung des Fährschiffes,
und „Konung Gustav V“ konnte freikommen und nach Saßnitz einlaufen,
Die Versuche, „Deutschland“ loszueisen, wurden den ganzen Vormittag über
fortgesetzt, 9h 30m gelang es, vorübergehend „Deutschland“ über den Achter-
steven freizubekommen,: doch : kurz. darauf saßen B. und „Deutschland“ wieder
lest, Die erneuten Versuche, „Deutschland“ loszubrechen, wurden immer mehr
erschwert durch das sich immer dichter ineinanderschiebende, losgebrochene Eis,
Das Feld um die Schiffe herum bestand jetzt aus etwa 2 m hoch übereinander-
gepreßtem und durcheinandergewürfeltem Eis. Immer häufiger fielen die Kon-
densatoren aus, und das Schiff blieb manövrierunfähig liegen, Zeitweise waren durch
Verstopfung sämtlicher Ventile durch Eis alle Pumpen im Schiff ausgefallen.
Da unter diesen Umständen für das eigene Schiff Gefahr des Liegenbleibens
im Eis ‚und späteren Sirandens entstand, außerdem durch das andauernde
Manövrieren der Kohlenvorrat sich sehr schnell verringerte und durch weiteren
Verbrauch das Erreichen eines Hafens nicht mehr gewährleistet hätte, so mußte
ich im Interesse der Sicherheit des eigenen Schiffes längeres Arbeiten bei
„Deutschland“ aufgeben. Als das Schiff in günstigerem Eis die Kondensatoren
wieder voll durchgekühlt hatte, machte ich einen letzten Versuch, durch hartes
Vorbeischeren an dem Fährschiff mit höchster Fahrt vor dem Fährschiff das
Eis zu spalten und für kurze Zeit: seitlich des Schiffes das pressende Eis. weg-
zubrechen, . Der Versuch gelang, „Deutschland“ kam gegen 12h mittags los, gab
die Weiterfahrt nach Trälleborg auf und lief in Saßnitz ein. Das erneute Aus-
laufen der „Deutschland“ hatte somit Brennmaterial für sechs Stunden verbraucht,
eine schwere Stahltrosse gekostet und B. auf das äußerste strapaziert. -
Der durch diese Manöver zusammengeschmolzene Kohlenbestand gewähr-
leistete bei den augenblicklichen Eisverhältnissen nicht mehr ein Durchbringen
des Schiffes nach Kiel. Da in Swinemünde 800 t Kohlen greifbar waren, lief ich
um 6h Nm. in den Hafen ein. Durch unvorhergesehene Verhältnisse. konnte das
Bekohlen erst am 27, II 4b Nm. beginnen und mußte die ganze Nacht fortgesetzt
werden. Die so entstandene 24stündige Unterbrechung der Tätigkeit wurde benutzt,
um Maschine und Schiff wieder instandzusetzen und dem stark angestrengten
Personal Ruhe zu geben.