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Köppen-Heft der Annalen der Hydrographie usw, 1926,
und Luft. Je größer dieser Gradient der untersten Schicht ist, um so größer wird
der Wärmetransport nach oben sein und um so größere Höhe wird dieser erreichen.
Um einen exakteren Wert für die Erwärmung der in südwestlicher Richtung
vom Lande über den See wehenden Luft zu erhalten, kann man die Beobach-
tungsbedingungen noch schärfer präzisieren, Aus den Beobachtungen der Jahre
1916 bis 1924 wurden 47 Fälle mit möglichst eindeutigen Verhältnissen aus-
gewählt. Vor allen Dingen wurden nur solche Fälle benutzt, bei denen sowohl
am württembergischen wie am schweizerischen Ufer Nordostwind herrschte, also
die kalte Luft nach Südwesten über den ganzen See floß. Damit sind die Fälle
mit periodischem Landwind ausgeschaltet, Ferner wurden nur solche Aufstiege
benutzt, bei denen die Fahrt des Ballonschiffes in annähernd gerader Richtung
nach Südwest bis vor das Schweizer Ufer führte. Aus diesem „gereinigten“
Material läßt sich mit größerer Genauigkeit die Erwärmung der Luft beim
Fließen über den See feststellen. Die Temperaturen sind an zwei Stellen über
dem See gemessen: 1. am Läutwerk in Richtung nach SW in etwa 900 m Ent-
fernung von der Drachenstation und 2, vor dem Schweizer Ufer ebenfalls un-
gefähr in Richtung SW. Aus den 47 Fällen ergeben sich folgende Temperatur-
zunahmen: Drachenstation bis Läutwerk: 1.7°; Läutwerk bis Schweizer Ufer
{mittlere Entfernung etwa 10.8 km}: 1.6°
Man ersieht daraus, daß die Erwärmung der kalten, den See überwehenden
Luft vom Ufer bis zum Läutwerk (auf 0.9 km Entfernung) ebenso groß ist als
auf der viel größeren Strecke vom Läutwerk bis vor das Schweizer Ufer (10.8 km
Entfernung). Die Erwärmung beträgt in der Uferzone 1.9° pro km, auf der
offenen See nur 0.2° pro km. Sie erfolgt also anfangs beim Betreten der Wasser-
fäche sprunghaft und dann viel langsamer. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
die Wassertemperatur in der Uferzone infolge der Abkühlung durch den kalten
Nordostwind tiefer ist als auf der Schweizer Seite (Differenz etwa 0.5°) Weiter
ist zu bemerken, daß die obigen Werte für einen Nordostwind von 5,6 m/sek, im
Mittel gelten und eine Differenz von 12.4° zwischen der Wassertemperatur am
Läutwerk und der Lufttemperatur an Land.
Fließt kältere Luft von Land über das wärmere Seewasser, so teilt sich die
Wärme des letzteren zuerst den das Wasser unmittelbar berührenden Luftmassen
mit, Die Erwärmung erfolgt anfangs, wie gezeigt wurde, sprunghaft, und es
entsteht in den untersten Luftschichten ein starker vertikaler Temperaturgradient,
Darauf beginnt durch thermische Konvektion und Mischung der Wärmetransport
nach oben, der anfangs rasch, später langsamer erfolgt, Die reine Wärmeleitung
dürfte dabei eine sehr untergeordnete Rolle spielen und auch von Strahlungs-
vorgängen kann hier abgesehen werden.
Die Höhe, bis zu der die Erwärmung fortschreitet, ist in erster Linie ab-
hängig von der ursprünglichen Temperaturdifferenz; sie ist aber begrenzt, wenn
es sich nicht zeitlich und räumlich um außerordentlich große Dimensionen handelt,
Besonders bei annähernd laminarer Strömung und stabiler Schichtung wird
sich die Wärme des Wassers nur langsam den oberen Lüftschichten mitteilen,
Bei dem kalten, ablandigen Nordostwind, der meist thermisch stabil ist, wird
man die Strömung bis zu einem gewissen Grade als laminar ansehen können,
zumal die Reibung über dem See gering ist. Dafür spricht auch die häufige
Beobachtung, daß die Rauchfahnen der Dampfer auf dem Bodensee sich zu langen
Streifen ausziehen, die sich stundenlang und auf viele Kilometer Entfernung er-
halten können. Annähernd laminare Strömung‘ jst aber nur bei geringen Wind-
geschwindigkeiten möglich,
Bei größerer Windstärke kommt durch die ungeordnete Bewegung oder Böig-
keit ein Moment hinzu, das eine sehr wirksame Durchmischung der unteren
Schichten und den Wärmeiransport bis zu größeren Höhen ermöglicht, Diese
Böigkeit der Luft ist die Ursache dafür, daß der Wärmetransport sich zu einer
Höhe fortpflanzt, die ein Vielfaches derjenigen ist, bis zu der sie bei laminarer
Strömung sich erstrecken würde, In einzelnen Fällen ist festzustellen, daß bei
stärkerem Wind die Erwärmung sich über dem See bis zur oberen Grenze der
kalten Landströmung fortpflanzt und die Inversion durchbricht, Das ist auch
der Fall bei der Bildung bestimmter lokaler Stratuswolken über dem Bodensee.