Myrbach, 0.: Das Atmen der Atmosphäre unter kosmischen Einflüssen. 97
beistellen zu können, weil sie ja hauptsächlich durch Wärmeleitung von unten
her abgekühlt wurde. Anders liegen die Verhältnisse im Polarbecken. Die Eis-
decke des Polarmeers hat eine zu hohe spezifische Wärme und empfängt von
dem darunterliegenden Wasser zu viel Wärme, um die bodennahen Luftschichten
so stark abkühlen zu können wie die Festländer, Auch die fortschreitende Eis-
bildung macht Wärme frei und bremst den Temperaturfall, Aber die hohen
Luftschichten, welche in der Polarnacht jeglicher Wärmezufuhr entbehren, dafür
fortwährend Wärme ausstrahlen, gelangen wahrscheinlich zur Unterkühlung unter
das vertikale Gleichgewicht und stürzen nach Überschreitung der labilen Gleich-
gewichtstemperatur herab, den Kälteausbruch auslösend.
Daraus ergibt sich, daß man bei eingehender Untersuchung des Atmungs-
mechanismus die Polkappen der Erde als Sondergebiete getrennt behandeln müßte,
weil ihre Reaktion auf Abkühlung und Erwärmung eine ganz spezifische ist, die
sich weder der typisch kontinentalen noch der typisch ozeanischen eingliedern
läßt. Für die erste Orientierung, die mit dieser Arbeit angestrebt wird, kann
aber davon abgesehen werden, wenn man bloß die Sonderstellung der Polargebiete
im Auge behält, Auch dürften aus dem Polargebiet noch zu wenig Beobach-
tungen vorliegen, um ein deduktiv gewonnenes Schema an den Tatsachen nach-
prüfen zu können,
Unter die Sommerphase 6 fallen nicht nur die berühmten indischen Monsune,
sondern, was uns hier mehr interessiert, die europäischen Kälterückfälle im Mai
und Juni, die als auffallende Sondererscheinungen, herausgerissen aus dem großen
Atmungsmechanismus, schon ziemlich eingehend von verschiedenen Forschern
untersucht worden sind, Die Kälterückfälle im Frühling und Vorsommer mußten
so lange etwas Verwunderliches haben, als man nicht über den Atmungsmecha-
nismus nachdachte und von der kontinuierlich steigenden Sonne auch eine stetige
Temperaturzunahme gegen. den Sommer hin erwartete. Eingegliedert in den
großen Atmungsmechanismus der Atmosphäre, können sie uns aber nicht mehr
befremden, beweisen uns vielmehr als festgestellte Tatsachen, daß die
Annahme 1 richtig ist.
Analog den Kälterückfällen bei steigender Sonne müßte uns im Winter die
Erwärmung des Landes in der Phase € auffallen. Tatsächlich gehen auch die
Kälteausbrüche im Winter mit Erwärmung der Ausbruchsgebiete Hand in Hand,
aber der plötzliche Einbruch polarer Luft in zuvor warme Gegenden geht auf
den großen Ebenen der Kontinente unter lebensvernichtenden Schneestürmen mit
solch elementarer Gewalt vor sich, daß er das Hauptaugenmerk der Forscher auf
sich lenkte und die gleichzeitige Erwärmung des Kältequellgebiets mehr als
Nebenprodukt der Arbeit erschien,
—_ Wir wissen, daß sich die Kälteausbrüche nicht als kreisförmige Wellen vom
Quellgebiet aus fortpflanzen, wie es rein schematisch zu erwarten wäre, Die
kalte Luft bricht vielmehr in einzelnen Zungen aus. Daraus folgt, daß die gleich-
zeitige Erwärmung des Quellgebiets nicht nur, wie sich aus dem Schema ergeben
würde, durch. antizyklonales Absinken, sondern wahrscheinlich in noch höherem
Maße durch horizontale Advektion wärmerer Luft zwischen den Kältezungen
erfolgen wird, |
Nachdem somit die Annahme 1 erhärtet und der rhythmische Wechsel zwischen
Ein- und Ausatmung erwiesen wurde, können wir übergehen zur
Annahme 2: In hohen Luftschichten genügt die Dämpfung der geringen
inneren Reibung der Luft nicht, um das Beharrungsvermögen bewegter Massen
in dem Augenblick restlos aufzuzehren, in dem die angestrebte Gleichgewichts-
lage erreicht ist. Wie das schwingende Pendel gehen die großen Stürme der
hohen Luftschichten über die Gleichgewichtslage hinaus und verstärken dadurch
die Wirkung der folgenden Gegenphase, Diese Annahme bleibt als solche be-
stehen und müßte erst durch eingehendere Studien der atmosphärischen Atmung
unter Zuhilfenahme aerologischen Beobachtungsmaterials geprüft werden, Ihre
Richtigkeit würde nur für Verschärfung der Gegensätze zwischen den Wetter-
typen verschiedener Phasen sprechen, ihre eventuelle Unrichtigkeit die Tatsache
des Atmungsrhythmus nicht widerlegen, Die Änderungen der Großwetterlage