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Jahresbericht der Deutschen Seewarte für 1S97.
den Werth wissenschaftlicher Forschung für Sicherheit und Schnelligkeit des Ver
kehrs zur See, insonderheit auf Segelschiffen. Carl Seemann war lange Zeit Führer
von Schiffen der Firma Karl Woermann, und hier besonders kennen wir ihn als
Führer des Schiffes »Eduard“. Als er nach Jahren sich darnach sehnte, am Lande
seiner Lebensaufgabe zu leben, bemühte er sich zunächst um eine Stelle an der
Deutschen Seewarte. Er wurde am 1. April 1881 Vorsteher der neu errichteten
Agentur der Deutschen Seewarte in Hamburg und im April des Jahres 1882 Hülfs-
arbeiter hei der ITT. Abtheilung dieses Instituts. In dieser seiner Eigenschaft wid
mete er sich mit allem Eifer dem Studium der Witterungskuude in der Anwendung
auf das Sturmwarnungswesen. Wenn auch diese seine Studien nicht immer von
einem durchaus wissenschaftlichen Geiste geleitet waren, wie das hoi einem bisher
dem praktischen Seemannsstande ganz ergebenen Manne leicht begreiflich ist, so
zeugen sie doch überall von dem ernsten Streben, um nicht zu sagen von der Be
geisterung Seemann’s für seinen Beruf. Ein Ergebnifs von diesen Studien ist eine
Arbeit Seemann’s, welche im XIII. Jahrgang des Sammelwerkes „Aus dem Archiv
der Deutschen Seewarte“ als Xo. 4 erschienen und betitelt ist: „Wetterlexikon, ein
Register zu den europäischen Wetterkarten von 1875 bis 188G“. Diese in dem
Jahre 1891 erschienene Arbeit sollte den Zweck haben, hei der Wetter- und Sturm
prognose dienlich zu sein, und legt jedenfalls von dem ernsten Streben, das Seemann
in seinem Berufe durchdrang, ein beredtes Zougnifs ah. Von den Arbeiten, welche
Carl Seemann, als er später in die Ahtheilungen, welche der praktischen Seefahrt
gewidmet sind, eintrat, für die „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteo
rologie“ schrieb, mögen die folgenden namhaft gemacht werden: „lieber Land- und
Seewinde“ (Jahrg. 1885, Seite 449 u. ff.), „Vermeidung von Kollisionen durch Fixirung
des Seitenlichtes in einem Winkel von 45° zum Topplicht“ (188G, Seite 451 u. ff.).
Mit Prof. Dr. Koppen, Ahtheilungsvorstand der Deutschen Seewarte, schrieb See
mann gemeinschaftlich: „Ausgewählte tropische Wirbelstürme im südlichen Indischen
Ozean“ (1892, Seite 3G1 u. ff., und 1893, Seite IG u. ff. und Seite 81 u. ff.). Um
diese Zeit erwarb er sich durch die Herausgabe von 12 Stromkarten für jede Stunde
der Tide bei Dover, umfassend das Gebiet der südlichen Nordsee, des Englischen
Kanals, des Bristol - Kanals und des südlichen Theiles vom Irischen Kanal,*) ein
namhaftes Verdienst um die praktische Navigirung der genannten Gewässer, und
ganz besonders hat ihm dafür der deutsche Seemann dankbar zu sein. Wir stimmen
ganz dem Urtheile hei, welches Kapitän R. Länderer in den „Annalen der Hydro
graphie und maritimen Meteorologie“ (Jahrg. 1893, Seite 266 u. ff.) über diese werth-
volle Arbeit fällt, wenn er dieselbe als ein wichtiges Hülfsmittel der Navigirung
bezeichnet. Das Streben und der Charakter Seemann’s, des Schiffsftthrers, leuchtet
ganz besonders anziehend hervor aus seiner Arbeit; „Sechs Reisen um das Kap der
Guten Hoffnung im südlichen Winter, ausgeführt auf der Bark »Eduard«“, veröffent
licht in den „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie“ (Jahrg. 1892,
Seite 329 u. ff.). Wir sehen ans dieser Abhandlung, mit welchem Ernste Kapt.
Seemann sich seinem mit so vielen Gefahren umgebenen Berufe widmete; es kann
dieselbe als ein Vorbild zur Nacheiferung für junge strebsame Seeleute dienen. Wir
könnten noch eine Reihe interessanter Arbeiten dieses überaus pflichttreuen und
thätigen Beamten der Seewarte namhaft machen; der uns zur Verfügung stehende
Raum legt uns jedoch Beschränkung auf, und es mag daher gentigen, nur noch auf
eine umfassende Untersuchung hinzuweisen, welche unter der Aufschrift: „Unter
schiede zwischen Luft- und Wassertemperatur in der China-See und den angrenzenden
Gewässern“ in den „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie“ (Jahrg.
1892, Seite 57 bis 63) erschienen ist.
Die Untersuchung des Einflusses des Mondes auf die Witterung und die ein
zelnen meteorologischen Elemente beschäftigte Kapt. Seemann schon lebhaft, als
er noch zur See fuhr. Auch während seiner Tliätigkeit an der Seewarte pflegte er
diese Liehliugsidee in eingehendster Weise, jedoch ohne einen nennenswertheu Erfolg
zu erzielen. Untersuchungen dieser Art lagen aufserhalb der Sphäre seines Könnens
•) Nach den neuesten Beobachtungen der Uferstaaten bearbeitet. Druck und Verlag
Von C. Griese, Hamburg.