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übertrifft. Diese Bemerkung erschien mir um so interessanter, als ich soeben
auf derselben Grundlage der aus der Erfahrung sich ergebenden wie a priori
nothwendigen Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe und der Ver-
änderlichkeit des Luftaustauschs in vertikaler Richtung eine Krklärung der
täglichen Periode der Windstärke gegeben hatto.!)
Es ist eine den Hydrographen und Hydrotechnikern längst bekannte
Thatsache, dass in jedem Fluss die Geschwindigkeit der Strömung mit der
Entfernung vom Grunde und von den Ufern bis zu einem Maximum zunimmt,
dessen Lage im Strome durch verschiedene, theils erkannte, theils noch un-
orklärte Einflüsse bestimmt wird.
Durch die Reibung am Boden, oder vielmehr — da der letztere vom
Wasser benetzt wird und die daran unmittelbar grenzende Schicht keine Be-
wegung besitzt — durch die Reibung der verschieden rasch bewegten Wasser-
schichten an einander geht ein bedeutender Theil der Bewegung, welche das
Gefälle verursachen würde, verloren, Haben wir noch dazu im Flussbette
Vertiefungen und Barren, so wird in den ersteren und unter dem Niveau der
letzteren gar kein Gefälle vorhanden sein, und die Bewegung, die in diesen
tieferen Schichten sich findet, wird nur von den oberen Schichten durch Reibung
und Massenaustausch?) mitgetheilt werden. Veranlassen wir eine Wassermasse
aus der Mitte der. Strömung an den Grund hinabzusinken, indem wir z. B. die-
selbe abkühlen oder (von einem Fahrzeug aus, das die Bewegung des Stromes
theilt) durch herabgeworfenen Kies dieselbe mittelst der Reibung nach unten
reissen, so wird diese aus der Hauptströmung in die langsamer bewegte Grund-
schicht hereingreifende Wassermasse in der letzteren eine Stromverstärkung, einen
Stoss hervorbringen.
Diesem Bilde entsprechen nun die Verhältnisse am Grunde des Luft-
meeres über den Kontinenten durchaus; wir haben hier nicht nur eine unbeweg-
liche Grundfläche, welche die Bewegung der benachbarten Luftmassen verlang-
samt, sondern Höhenzüge, welche als mehr oder weniger vollständige Barren
dem Luftwechsel in den Weg treten und eine direkte Wirkung der barometrischen
Gradienten für die unterste Luftschicht theilweise unmöglich machen, In
hügeligen Ländern haben wir deshalb in den Luftströmungen, so weit sie nicht
überhaupt lokaler Natur sind, nur ein schwaches Abbild der allgemeinen Strö-
mungen der Atmosphäre; dieses Abbild wird zwar, wenn die Unebenheiten des
Bodens nicht gar zu bedeutend sind, in den Richtungen der Luftbewegung
mit der darüber liegenden Luftschicht, aus der die unterste Schicht ihre Be-
wegung erhält, annähernd übereinstimmen, in der Stärke der Bewegungen
dagegen wird es in der Regel von der freien Atmosphäre weit abweichen.
Dieses verschiedene Verhalten der Richtung und der Geschwindigkeit des Windes
hat seinen ziffernmässigen Ausdruck in den wichtigen Arbeiten über die Mechanik
der Luftströmungen von Guldberg‘ und Mohn gefunden, deren Formeln die
theoretischen Verhältnisse zwischen Gradient, Reibung, Geschwindigkeit und
Windrichtung geben. Wird nach diesen Formeln aus dem Winkel zwischen der
Windrichtung und dem Gradienten die Reibungskonstante, und mit deren Hülfe
die theoretische Windgeschwindigkeit berechnet, so erweist sich diese stets be-
deutend grösser, also einem höheren Niveau entsprechend, als die von unseren
Anemometern gemessene. |
In denselben Verhältnissen findet auch wahrscheinlich das auffallende
Faktum seine Erklärung, dass, während die Windrichtung an der‘ KErdober-
fläche sich dem barischen Windgesetze fast ausnahmslos anpasst, bei dem Ver-
hältniss zwischen Windstärke und Gradient die Regel durch die Ausnahmen
beinahe verdeckt wird,
1) Der betreffende Aufsatz wird demnächst in der „Zeitschrift der österreichischen Gesellschaft
für Meteorologie“ erscheinen und der Gegenstand auch in diesen Annalen noch in anderer Form be-
handelt werden,
2%) In den lichtvollen Auseinandersetzungen von Herrn Prof. Zöppritz im VL Hefte der
„Annalen“ von 1878 vermisse ich jede Erwähnung der Wirkung des Massenaustausches oder der
vertikalen Cirkulation zwischen den Wasserschichten; es ist klar, dass das Eindringen des Oberflächen-
antriebs in die Tiefe sehr beschleunigt und verstärkt werden muss, wenn Wassermengen von der
Oberfläche in die Tiefe übergeführt und statt ihrer neue aus der Tiefe der Wirkung des. Windes
ansgyesetzt werden.