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erfolgt, gänzlich verwirft und annimmt, dass die Wassertheile, welche mit
Boden und Wänden direkt in. Berührung kommen, transversal abgelenkt, sich
nach der Oberfläche bewegen und, sich dort ausbreitend, diese zu einem lang-
sameren Fliessen veranlassen.
Es ist bei dieser Theorie zweierlei nicht recht klar; einmal, warum
Thomson die Uebertragung der Verlangsamung durch Kohäsion der Schichten
des Wassers unter sich nicht gelten lassen will, während er sie für eine zähere
Flüssigkeit, z. B. Theer, als zulässig erklärt, da doch die Kohäsion des Wassers
von derjenigen des Theers nur dem Grade, aber nicht der Qualität nach ver-
schieden ist; sodann, warum die transversalen Ströme gerade an der Oberfläche
mehr verlangsamend wirken sollen, als in einiger Tiefe unter ihr, da sie —
namentlich in sehr. breiten Strömen, wo man.von dem Einflusse der Seitenwände
absehen kann — doch die Schichten unter der Oberfläche passiren müssen, bevor
sie an diese gelangen.
Wenn daher auch diese Erklärung schwerlich befriedigt, so mag die
Schwierigkeit einer Erklärung überhaupt doch vielleicht in der von Thomson
ganz verworfenen Theorie der Verlangsamung der Bewegung durch Reibung
und Kohäsion gefunden werden können. Man muss sich fragen: ist denn die
Voraussetzung der Theorie, dass allen Wassertheilchen durch die Schwerkraft
der Impuls zu ganz gleicher Bewegung ertheilt wird, richtig, oder sollte nicht
vielmehr der auf die unteren Wasserschichten durch die darüber gelagerten
ausgeübte Druck bewirken, dass diese unteren Schichten rascher fliessen müssten,
als die oberen, wenn nicht eben die Verlangsamung durch Reibung unten am
grössten wäre? BRichtet sich doch die Geschwindigkeit einer aus einer unteren
Deffnung eines Gefässes ausströmenden Flüssigkeit nach dem Drucke, d.h. nach
der Höhe der über der Ausflussöffnung ruhenden Flüssigkeitssäule. Wäre die
Frage bejahend zu beantworten, so könnte die grösste Geschwindigkeit gar nicht
an der Oberfläche gesucht werden, sondern nur irgendwo zwischen Boden und
Oberfläche; ob höher oder tiefer, richtet sich dann nach dem gegenseitigen
Verhältniss beider Wirkungen, d. h. der von oben nach unten zunehmenden
beschleunigenden Wirkung und der — sicher weit grösseren — verlangsamenden
Wirkung, die unten am grössten ist; das Maass der von sehr verschiedenen
variablen Ursachen — namentlich auch vom Winde — abhängigen transversalen
Ströme wird aber geeignet sein, den Ort der grössten Bewegung einmal mehr
nach unten, einmal mehr nach oben zu verrücken,
Wenn die ferner noch anzustellenden Beobachtungen daher derartig ein-
gerichtet werden, um mit möglichster Schärfe den Ort der grössten Wasser-
bewegung in der Lothlinie eines Stromes zu ermitteln, werden sie der Lösung
dieser noch unklaren Frage und damit der wissenschaftlichen Theorie der
Wasserbewegung einen grossen Dienst erweisen. Am geeignetsten würden dafür
Beobachtungen bei Windstille in offener See — auf nicht allzu grosser Wasser-
tiefe — sein, einmal, weil man hier von dem Einfluss der Seitenwände frei ist,
sodann weil das Wasser hier eine ziemlich homogene Natur besitzt und die
kleinen durch Bodenformation, Krümmungen des Flussbeties u. s. w. erzeugten
Unregelmässigkeiten fortfallen. Für die Feststellung der möglicher Weise durch
Wasser verschiedener Dichte erzeugten Einflüsse wären aber Beobachtungen in
Flussmündungen mit Ebbe und Fluth, welchen eine erheblichere Quantität
süssen Wassers zugeführt wird, als dies in der Jade der Fall ist, am geeignotsten.