92923
Das Vorstehende nochmals kurz zusammenfassend, so würden auf die
Strömungen der Jade also drei Ursachen modificirend einwirken: nämlich ‚die
Bodengestaltung, der Wind und die differirende physikalische Konstitution des
Ebbe- und Fluthwassers. Während auf Rechnung der ersteren beiden Ursachen
namentlich viele der Unregelmässigkeiten entfallen, erklärt die letztere vorzugs-
weise das verschiedene Verhalten der Ebbe einerseits und der Fluth anderer-
seits im Zurückbleiben der unteren Schichten, im Vergleich mit der Oberfläche,
und bedingt also einen Hauptunterschied zwischen den Strömungen in Flüssen
und von Ebbe und Fluth.
Es können diese gewonnenen Resultate als endgültige aber nicht an-
gesehen werden, weil sie der nöthigen Nebenbeobachtungen entbehrten, vielmehr
sind sie nur geeignet, zu zeigen, wie wichtig derartige Beobachtungen der
Gezeitenströme sind und welche Nebenumstände dabei scharf ins Auge gefasst
werden müssen. Neben der genauen Feststellung der Stromrichtungen und des
specifischen Gewichtes der verschiedenen Wasserschichten, in welchen der Strom
gemessen wird, kommt dabei vorzugsweise Eins in Betracht. Die angewandten
Formeln gehen nämlich von der Voraussetzung aus, dass die grösste Wasser-
bewegung an der Oberfläche stattfinde, weil die Theorie dies so verlangt. Es
haben nun aber mehrfach die Beobachtungen ergeben, dass dies nicht ganz zu-
trifft, dass vielmehr die grösste Bewegung in einiger Tiefe unter der Oberfläche
und von hier aus. nach oben sowohl, wie nach unten eine Abnahme des Stromes
stattfindet. Die hier zur Diskussion gezogenen Beobachtungen in der Jade
scheinen ja auch anzudeuten, dass das mittlere Maximum der Geschwindigkeit
irgendwo zwischen der Oberfläche und der Tiefe von 5m liegt. Die Erklärung
dieser der Theorie zuwiderlaufenden Erscheinung ist mehrfach versucht worden,
hat aber so wenig befriedigt, dass man die Theorie deshalb nicht abändern zu
können vermeint hat. Es wird von Interesse und von Werth für die Art und
Weise, wie die Strombeobachtungen ferner anzustellen sind, sein, wenn wir
etwas näher auf die versuchten Erklärungen eingehen.
Bisher ist allgemein angenommen worden, dass die Schwerkraft, welche
eine Wassermasse auf abschüssigem Boden ins Gleiten bringt, allen Theilen der
Masse den gleichen Impuls der Geschwindigkeit ertheile. Die dem Boden und
den Uferwänden zunächst liegenden Wassertheile können in Folge der Reibung
an ersterem aber dem Impuls nicht in gleichem Maasse Folge geben und über-
ragen die Verlangsamung durch Kohäsionswirkung auf die nächstgelegenen
Schichten u. s. w. Daraus muss nothwendigerweise eine vom Boden nach der
Oberfläche und von den Ufern nach der Strommitte abnehmende Verlangsamung
der Bewegung eintreten, so dass also das Wasser an der Oberfläche und in der
Mitte des Stromes am raschesten fliesst.
Dass einzelne Beobachtungen dies nicht als gauz richtig ergeben, wurde
zunächst darauf zurückgeführt, dass die Reibung der Oberfläche des Wassers
an der Luft dieses etwas zurückhalte (Ellet in Folge seiner 1850 auf dem
Mississippi angestellten Beobachtungen, D’Aubuisson in „Traite d’Hydraulique“
ete.). Es wurde nun aber später, namentlich von Humphrey und Abbot
(ebenfalls bei Mississippi-Beobachtungen) gefunden, dass das Wasser in mehreren
Fällen: auch dann an der Oberfläche langsamer, als in einiger Tiefe floss, wenn
ein Wind in der Richtung des Stromes, und zwar mit demselben, wehte, der
der Geschwindigkeit des Stromes gleichkam oder sie noch übertraf, — Hier
konnte also von Hemmung durch Adhäsion oder Reibung an der Atmosphäre
nicht mehr die Rede sein. Boileau hatte in künstlichen Kanälen ein ganz
gleiches Resultat erhalten. Er spricht sich dahin aus, „dass der Widerstand,
welchen die Wasseroberfläche an der Atmosphäre fände, die Sache nicht erkläre,
dass man vielmehr annehmen müsse, der Grund sei in der gegenseitigen Wirkung
zwischen den Wasserpartikelchen und in der schiefen und rotatorischen Bewegung
zu suchen, welche aus jener Wirkung resultire, indem diese schiefe Bewegungen,
transversale lebendige Kräfte erzeugend, die Wirkung der lebendigen Kräfte
der Vorwärtsbewegung, welche das hydrometrische‘ Instrument anzuzeigen
geeignet ist, vermindern.“
Eine ausreichende Erklärung ist dies wohl nicht, weil nicht gesagt wird,
warum diese Verhältnisse an der Oberfläche zu grösserer Wirkung gelangen,
als etwas tiefer.