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6. Reise des Bremer Schoners „Rio“, Kapt. J. C. Rohtbar.
Am 30. Mai 1878 passirte der auf einer Reise von Hamburg nach
Portorico bestimmte Schoner „Rio“ den Meridian von Lizard. Anhaltend aus
westlicher Richtung wehende Winde, die bald nach dem Verlassen des Kanales
einsetzten, erschwerten es ausserordentlich, nach Süden zu kommen. Auch
nachdem man 40° N-Br in 12,5° W-Lg am 10. Juni gekreuzt hatte, wurden die
Verhältnisse noch nicht günstiger, bis endlich am 14, Juni in 34,5° N-Br und
13,8° W-Lg der NE-Passat erreicht wurde. Das Schiff schnitt dann im weiteren
Verlaufe der Reise 30° N-Br in 19,5° W-Lg am 17. Juni, den Meridian von
30° West in 26,2° N-Br am 25. Juni und den von 50° West in 21,1° N-Br
am 4. Juli. Der Passat, obgleich an mehreren Tagen unerwünscht flau, wehte
sonst doch ganz beständig, und am 10. Juli hatte derselbe den Schoner so weit
geführt, dass die kleine Felseninsel Sombrero erblickt wurde. Am 12, Juli er-
reichte man die Rhede von Ponce auf Portorico nach 42tägiger Reise von
Lizard ab.
Von Ponce versegelte der Schoner am 31. Juli nach dem an der Nord-
küste Jamaika’s gelegenen Hafen Falmouth. Leichter beständiger Passat be-
gleitete das Schiff auf der fünftägigen Fahrt Qahin. Später wurde dann auch
noch der an Jamaika’s Südküste befindliche Hafen Alligator Pond angelaufen,
Die Reise dorthin dauerte, verursacht durch sehr leichte Winde, 12 Tage.
Am 14. September trat das Schiff endlich die Heimreise nach Bremen
an, welche in ihrem Verlaufe ganz ausserordentlich stürmisch war. Der
Kapitän wählte die Route, welche durch den Windward-Kanal und zwischen
den Bahama-Inseln hindurch nach Nordost führt. Gegen die regelmässig nach
Westen setzende Strömung fiel es anfänglich schwer, die Ostspitze Cubas zu
umsegeln. Man war schon 14 Tage in See, ehe der Schoner auf der Höhe
derselben angelangt war. Hier wurde er am 28. September von einem heftigen
Orkane überfallen, bei welchem der Luftdruck bis auf 753,6mm abnahm.
Der Orkan wüthete am heftigsten aus der Süd-Richtung, und als das
Unwetter sich gemässigt hatte, folgte für die nächsten Tage südwestlicher
Wind, der dem Schoner das rasche Erreichen des offenen Oceans ermöglichte,
Dieser Orkan, dessen Bahn für den westlichen Theil des Atlantischen Oceans
in dem vom „American Signal Office“ herausgegebenen Wetterbericht für den
Monat Oktober 1878 von Tag zu Tag angegeben ist, herrschte schon am 26.
und 27. September über dem westlichen Theil Domingos, und wurde das Schiff
an diesen beiden Tagen wahrscheinlich nur durch das luvwärts nahe beim
Schiffe befindliche hohe Land der Insel Cuba gegen die Wirkungen des Orkanes
geschützt. Am 28. September, als der Schoner ostwärts vom Kap Maist kam,
der durch das Land gewährte Schutz also nicht mehr wirkte, erhielt er den
Orkan.. Die Fortbewegung desselben auf seiner fast gerade nach Nord ge-
richteten Bahn war hier eine so langsame, dass dessen Centrum sich in drei
Tagen nur von 20° nach 25° N-Br bewegte. Eine Folge davon war, dass der
Schoner trotz der nur mässigen Geschwindigkeit, mit welcher das durch die an
der Südseite des Orkans herrschenden westlichen Winde begünstigte Schiff nach
Norden segelte, dem Mittelpunkt des Wirbels wahrscheinlich bedeutend wieder
näher kam. Der Luftdruck nahm dem entsprechend allmählich ab, und am 2,
und 3. Oktober in etwa 26,5° N-Br und. 69° W-Lg wehte bei einem niedrigsten
Barometerstande von 748,4 nm wieder ein ausserordentlich schwerer Sturm aus
West. Erst als das Schiff bedeutende Distancen nach nordöstlicher Richtung
hin zurücklegte, mässigte sich nach und nach die Kraft des Windes; auch
lief die Richtung desselben südlicher. Am 15. Oktober, als der Schoner
40,3° N-Br und 47,7° W-Lg erreicht hatte, gerieth er abermals in einen
Orkan und diesesmal sogar in das Centrum desselben, Der Wind wehte an
diesem Tage anfänglich aus Süd und nahm in wenig Stunden von der Stärke 6
bis zur Stärke 11 zu; der Luftdruck sank erst langsam, dann ungewöhnlich
rasch, bis derselbe um 2* Nachmittags mit 726,7 mm seinen niedrigsten Stand
erreicht hatte. Gleichzeitig wurde es plötzlich windstille, ein Zustand, der etwa
20 Minuten anhielt, worauf erst leichter nordwestlicher Zug, 5 Minuten darauf
aber der Orkan in voller Stärke aus Nord wieder herangebraust kam. Das
Schiff wurde dadurch in eine sehr gefährliche Lage gebracht, schwere Brechseen
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