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besitzt.') Systematisch nach Zeit und Ort vertheilte Beobachtungen scheinen
in jenen Gegenden noch zu fehlen. ;
Es erübrigt noch, den Einfluss der wesentlichsten Unterschiede zwischen
den Voraussetzungen der Theorie und den Verhältnissen im Weltmeer in Be-
tracht zu ziehen. Jene Theorie gilt zunächst nur für eine isolirte unendlich
dünne Horizontalschicht oder für ein unendlich tiefes Meer von in jeder Tiefe
gleicher Geschwindigkeit. Die Aequatorialströme des Meeres bestehen aber aus
Schichten von nach unten gleichförmig abnehmender Geschwindigkeit, Jede
Schicht wirkt durch die Reibung verzögernd auf die darüber liegende und be-
schleunigend auf die darunter liegende. Im ursprünglichen geradlinig verlaufen-
den stationären Strom nimmt die Geschwindigkeit von der Oberfläche in die
Tiefe in linearem Verhältnisse ab.?) Dadurch wird aber keine Gestaltsänderung
des Stromes herbeigerufen, denn jede Schicht, für sich betrachtet, hat dieselben
Stromlinien, da deren Gestalt unabhängig von der ursprünglichen konstanten
Geschwindigkeit ist und nur durch die Strombreite bestimmt wird, die bei allen
Schichten dieselbe ist. ;
Dadurch, dass die Kontinente nicht als vertikale Wände, sondern. in
allmählicher Abdachung aus der Tiefe aufsteigen, wird das Zustandekommen
regelmässiger Stromfiguren vielleicht am erheblichsten gestört. Dieser Umstand,
in Verbindung mit der stark gebogenen Form der südamerikanischen Ostküste,
ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum der Guineastrom erst soweit von
jener Küste deutlich auftritt. Dass er nicht, wie oft vermuthungsweise aus-
gesprochen worden ist, aus der Tiefe auftaucht, sondern an seiner Oberfläche
hauptsächlich aus dem Wasser der oberflächlichen Schichten seiner erzeugenden
Strömungen besteht, zeigt schon seine hohe Temperatur: Auch die Geschwindig-
keit des Guineastromes stimmt, wie die Theorie verlangt, mit derjenigen seiner
erzeugenden Ströme leidlich überein. Nach Krümmel®) hat die südatlantische
Aequatorialströmung eine mittlere Geschwindigkeit von 16,2 Sm den Tag, die
nördliche 8 bis 9 Sm und die Guineaströmung 15 Sm. Auch die soviel geringere
Geschwindigkeit des nördlichen Aequatorialstromes gegen den südlichen trägt
jedenfalls zu den Eigenthümlichkeiten im Auftreten des Guineastromes bei.
Schliesslich ist noch eine Voraussetzung zu eliminiren, die bisher fest-
gehalten wurde, die nämlich, dass die Reibung der Wasserströme an den Rändern
gegen das ruhende Meer und überhaupt die Reibung innerhalb einer Horizontal-
schicht zu vernachlässigen sei. In Wirklichkeit ziehen die bewegten Rand-
theilchen des Stromes die benachbarten ruhenden mit in Bewegung und diese
pflanzt sich bis dorthin fort, wo die 'Theilchen - anderweit verhindert werden,
ihr zu folgen. Betrachtet man z. B. einen Strom und einen parallelen Gegen-
strom, so werden, da (s. Fig. 3) in a und &
gleiche, aber entgegengesetzt gerichtete Ge-
schwindigkeiten herrschen und c in der Mitte
zwischen a und & liegen soll, zwischen a und €
Bewegungen im Sinne von a, zwischen b und €
solche im Sinne von & stattfinden; die Theilchen
aei c selbst bleiben in Ruhe. Die Linie cd bildet
also die eigentliche Scheidelinie der entgegen-
gesetzten Bewegungen und von ihr nimmt nach
jeiden Seiten die Geschwindigkeit zu bis in die
eigentlichen Ströme. — Auch in den Strömen
. selbst werden durch die Reibung Veränderungen
in der Vertheilung der Geschwindigkeit hervorgebracht, die aber für die vor-
liegende Frage von minderer Wichtigkeit sind.
Ein Strom, der einen anderen trifft, kann sich, auf freilich abgelenkter
Bahn, neben ihm anordnen und weiter bewegen. Vermöge der Reibung entsteht
zwischen beiden ein Mittelwasser, worin die Geschwindigkeit stetig von der des
einen in die des anderen übergeht. So wird es möglich, dass sich ein Meeres-
‘Kloeden, Handbuch der Erdkunde, 3. Aufl, I, 621.
8, „Ann. d, Hydr. etc.“, 1878, pag. 240. .
3) Krümmel, „Die äquatorialen Meeresströmungen des Atlantischen Oceans“, Leipzig 1877,
Seite 28—929.
Fig. 3.