Die theoretische Begründung des Buys-Ballot’schen Gesetzes.
Gemeinfafslich dargestellt von Dr. A. Sprung,
Mit einer Tafel.
(Mittheilung von der Deutschen Seewarte,)
Die einfachen Gesetze der Bewegung eines Körpers, oder richtiger eines
Massenpunktes, wie sie von Galilei begründet wurden und in jedem elemen-
taren Handbuche der Physik erörtert werden, wendet man gewöhnlich auch
ohne Weiteres auf Bewegungen auf der Erdoberfläche an, ohne dabei zu be-
rücksichtigen, dafs es sich hierbei um relative Bewegungen handelt, indem
die Erdoberfläche selbst ja ebenfalls in Bewegung begriffen ist. Der Fehler,
welchen mau hierbei begeht, kann in vielen Fällen allerdings vernachlässigt
werden; bei den grofsen atmosphärischen Strömungen ist dieses aber nicht mehr
gestattet, und bereits 1735 wurde von Hadley, und später in ganz analoger
Weise von Dove, auf den Einflufs der Erdrotation zur Erklärung der eigen-
thümlichen Bewegungsrichtung der Luft in den Passaten Rücksicht genommen;
in welcher Weise dieses geschah, ist allgemein bekannt, und noch jetzt dürfte
die von jenen Gelehrten angestellte Betrachtung, welche in so einfacher Weise
den in Rede stehenden Vorgang darzustellen versucht, vielen Meteorologen und
Physikern allein geläufig sein. Leider war 'aber diese Betrachtung nicht ebenso
richtig wie einfach, was hinsichtlich der Luftbewegungen besonders von Ferrel‘)
in Amerika nachgewiesen wurde.
Kann nun auch für eine exakte, auch das Quantitative der Erscheinung
vollkommen würdigende Berücksichtigung der Erdrotation nicht wohl das Hülfs-
mittel des mathematischen Kalküls entbehrt werden, so wird es uns doch ge-
lingen, das Wesen der Sache ohne Anwendung von Rechnungen allgemein ver-
ständlich zu machen und aus einfachen geometrischen Konstruktionen eine
Anzahl wichtiger Schlufsfolgerungen abzuleiten.
Man denke sich eine ebene Scheibe, welche frei im Raume mit einer
konstanten Winkelgeschwindigkeit w rotirt; dieselbe sei nur als geometrisches
Gebilde zu betrachten und mit physikalischen Kräften, wie Anziehung, Reibung
ete. durchaus nicht ausgestattet; auf dieser Scheibe möge die Orientirung genau
so wie auf der Erdoberfläche in der Umgebung des Nordpols erfolgen; der
Sinn der Rotation sei, wie bei der Erdoberfläche, west-östlich. Wie wird sich
auf dieser Scheibe ein Körper bewegen, welcher durch einen einmaligen Impuls
(Stoß) in irgend einer, der Scheibe parallelen Richtung forigetrieben wurde,
sonst aber irgend welchen Kräften durchaus nicht unterworfen ist? Offenbar
wird er dem Trägheitsgesetze folgen und, absolut genommen, in einer geraden
Linie mit gleichförmiger Geschwindigkeit fortschreiten.
Die relative Bahn indessen, welche der Körper für denjenigen beschreibt,
welcher sich auf der Scheibe ‚selbst befindet und die Rotation derselben theilt,
wird natürlich von der geraden Linie sehr verschieden. sein, ist indessen durch
Konstruktion leicht zu ermitteln.
4) The motions of fluids and solids relative to the earth’s surface, comprising applications to
the winds and currents of the ocean; by W. Ferrel. Taken from the first and second volumes of
{he mathematical monthly, New-York 1860.
Ann. d, Hydr., 1880, Heft XII (Dezemb er).