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Wrangel und d’Anjou (1820—23), Rodgers (1855) und Long (1867), welche
mehr oder weniger, ebenso wie die Ueberwinterungen der Engländer im Norden
der Bering-Stirafse und der „Vega“ bei dem Eingange der Koljutschin-Bai und
die Erzählungen der Eingeborenen darthun, dafs das Meer in diesen Gegenden
sich nur sehr unvollkommen in einer bestimmten Entfernung vom Lande mit
Eis bedeckt, geht Prof. Nordenskiöld in eine nähere Betrachtung der den
Schiffsverkehr auf dieser Route bedingenden Eis- und Strömungsverhältnisse ein.
Er äufsert sich hierüber folgendermafsen:
„Längs der Küsten bildet sich während des Winters eine mächtige Eis-
decke, welche indessen, wie wir es wiederholt in dem Winter 1878/79 erfahren
haben, nicht nur durch die Südwinde von der Küste weggetrieben wird, sondern
auch bei der plötzlichen Aenderung der Windrichtungen oder der Luftwärme
zerbricht. Diese Bruchstücke backen zwar wieder bald zusammen, aber nur in
denjenigen Jahreszeiten, wo die Luftwärme nicht über 0° beträgt. Ohne zu
schmelzen, bildet sich das zusammenhängende KHisfeld derart zu einer schwim-
menden Eisscholle um, welche später unter der Einwirkung der Sonne und der
Wellen nach und nach schwindet und durch die Winde und Strömungen hin und
her getrieben wird, bis sie sich mit einer neuen Eismasse vereinigt. Selbst die
Eismassen des Grundes zerbrechen in eigenthümlicher Weise unter dem KEinflufs
der Kälte, was bei den eigentlichen Eisbergen nicht der Fall ist. Dieser Unter-
schied rührt davon her, dafs die Eisberge sich aus continentalen Gletschern
bilden, während selbst die gröfsten Eisblöcke des sibirischen Mecres in diesem
selbst entstehen. Die ersteren enthalten Luftblasen, welche gegen die Binwir-
kung der Kälte wenig empfindlich sind, die letzteren aber kleiue Hohlräume,
die mit nicht gefrorenem Salzwasser erfüllt sind. Bei einer sehr intensiven
Kälte gefriert dieses Wasser, dehnt sich aus und zerbricht seine Hülle. An
den No:dküsten von Sibirien trifft man keine wirklichen Kisberge an. Folglich
existirt hier ebensowenig, wie längs der Küste zwischen dem ‚Jenissei und der
Lena, eine Gefahr, dafs die Navigation durch undurchdringliche, den Küsten
anhängende Eisfelder, wie durch Barrieren von altem, mehrjährigem Kise ge-
hindert sei. Man mufs die Erzählungen von den, einige oder auch viele Jahre
alten Eisbrücken am Kap Tscheljuskin, bei Swjiato:-Noss und an anderen Punkten
in das Gebiet üer Fabeln rechnen. In einer Hinsicht existirt ein grofser Unter-
schied in der Natur des Küsteneises westlich und östlich von Kap Baranow.
Während im Westen desselben eine Menge von grofsen Strömen, der Ob, der
Jenissei, die Lena, Jana, Indigirka, Alaseja und Kolyma sich in das Eismeer
ergiefsen und im Sommer dort längs der Küste Strömungen von verhältnifsmäfsig
warmem Wasser erzeugen,!) fällt östlich von dem Kap Baranow kein einziger
bedeutender Flufs in das Meer, folglich trifft man hier keine, der Bildung eines
freien Meeres günstige Küstenströmung au, wie dies längs der gauzen Küste
vom Weifsen Meere bis zur Kolyma der Fall ist.
Eine grofse Anzahl von Karten der oceanischen Strömungen geben
andererseits einen warmen Strom an, welcher weither von Süden kommt, durch
die Bering-Strafse setzt und sich von dieser längs der Küsten von Asien nach
NW fortsetzt. Aber infolge der Rotation der Erde um ihre Achse, mufs ein
von Süden herkommender Strom in den Polargegenden nothwendigerweise nach
Osten hin umbiegen, und die Annahme, dafs ein Theil des Kurosiwo im Norden
der Bering-Strafse eine Richtung nach NW einschlägt,?) ist mithin in offenbarem
Widerspruch mit den Gesetzen der Mechanik, Diese Angabe mufs also auf
einem Irrthum beruhen, wie es von der Expedition der ‚, Vega“ kounstatirt ist,
und auch die Erkundigungen erweisen, welche Baron von Maydell von den
Eingeborenen zwischen dem Kap Jakan und der Bering-Strafse eingezogen hat,
wonach man bis 15 Werst im Westen von Kap Jakan keine Küstenströmung
wahrnehmen kann; bei Kap Jrkaipi und Koljutschin existiren theils veränder-
liche, theils sohr schwache Strömungen. In der Bering-Strafso selbst setzt der
Strom im Sommer nach Nord und scheint im Winter mit dem Winde und den
i) Vgl. hierüber auch: A. Weyprecht: Bericht über seine und Payer’s Expedition im
Nowaja-Semlja-Meere, Juni—Sept. 1871, Petermann, Geogr. Mitth., 1873, S. 71. A. d. R.
2) Auch Chavanne huldigt noch dieser Ansicht, ohne sie irgendwie genügend unterstützen
zu können. (S. Chavanne: „Die Eisverhältnisse im Arktischen Polarmeere und ihre periodischen
Veränderungen“ in Petermann, Geogr, Mitth, 1875. 5S. 248, 249.) A. d. R.