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noch nicht augezeigt. Nach dieser letzteren Zeit beganu aber das Barometer
in zunehmender Progression zu fallen. Indessen selbst dieser Umstand konnte
bei dem nördlich dreheuden Winde anfangs noch keinen Grund zu ernstlicher
Befürchtung geben. Kapt. Kühn bemerkt, dafs er bis zu dieser Zeit wohl
eine in gewohnter Weise verlaufende Passatstörung, aber keinen Orkan erwartet
habe. Die einzige ungewöhnliche Erscheinung, welche man bis zum Mittage des
25. März beobachtete, war der um die Sonne sich zeigende Hof, Am Nach-
mittage wurde jedoch das Aussehen des Wetters ein bedrohliches; von 4 Uhr
an bedeckten nimb.-Wolken den ganzen Himmel, bei zunehmendem Winde gab
cs heftige Regenböen, und um 3 Uhr wehte es aus NzE in Stärke 7. Um 9 Uhr
abends, als es bei einem Luftdrucke von weniger als 756,0mm aus N in Stärke
von 9—10 stürmte, war Kapt. Kühn zu der Ueberzeugung gekommen, dafs ein
Orkan im Anzuge sei, und wurden nun, so rasch wie möglich, alle Vorkeh-
rungen, die zur Sicherheit des Schiffes beitragen konnten, getroffen. Man
machte alle Segel bis auf die Untermars- und das Vorstengenstagsegel fest und
drehte mit dem Schiffe bei. Ueberraschend schnell nahm jetzt die Windstärke
zu, um 9!% Uhr abends wehte es schon orkanartig; in gleicher Weise ver-
gröfserte sich auch der Seegang. Zwischen 10 und 11 Uhr traf ein aufser-
gowöhnlich heftiger Windstofs das Schiff, das Voruntermars- und das Stagsegel
zerrissen, und zur selben Zeit legte sich das Schiff derart auf die Seite, dafs
die aus Reis bestehende Ladung im Schiffsraume überging. Das Schiff, dem
das Wasser nun bis an die Luken reichte, war in diesem Zustande dem Kentern
nahe, und um sich zu retten, blieb kein anderes Hülfsmittel, als einen Theil
der Masten zu kappen. Mit Mühe wurde der Besansmast und die Marsstengen
gekappt, und lag, nachdem dieses bewerkstelligt worden war, das Schiff auch
ziemlich gesichert. Der Orkan, in dem die Windrichtung sich stetig von N
durch NW nach W geändert hatte, hielt fast ununterbrochen an bis 12 Uhr
mittags am 26. März. Zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens war die Wind:
stärke zwar etwas geringer, doch stürmte es nach der letzteren Zeit aus WNW
bis W wieder in voller Kraft. Erst am Nachmittage des 26. März mäfsigte
sich die Windstärke, und zwar dann in sehr rascher Weise. Den geringsten
Luftdruck beobachtete man um 5 Uhr morgens am 26. März mit 744,3mm;
nach dieser Zeit begann derselbe zuzunehmen; um 10 Uhr vormittags war er
auf 752,7mm, um 4 Uhr nachmittags auf 756,3mm gestiegen.
Als es sich bei T’agesanbruch am 26. März zeigte, dafs der Fockmast
derartige Beschädigungen erlitten hatte, dafs sein Stürzen jeden Augenblick
zu erwarten war, wurde auch dieser noch gekappt. Unter Notmasten segelte
„Deutschland“ später, vor beständig aus SE wehendem Winde, nach Mauritius
wohin das Schiff am 2. April, in Begleitung eines anderen gleichfalls ent-
masteten Schiffes, gelangte.
Aus der Verschiedenheit im Auftreten dieses Orkanes auf Mauritius und
bei „Deutschland“ ergiebt sich, dafs die Richtung der Bahn sich in der Zeit
vom 21. bis 25. März von einer südwestlichen zu einer südöstlichen verändert
haben mufß; ein Vorgang, der für Orkane in diesem Teile des Indischen
Oceans ja auch der gewöhnliche ist. Dio mittlere Fortbewegung des Orkanes
auf seiner Bahn würde, wenn man annimmt, dafs das ÖOrkancentrum in jedem
der beiden Fälle zu der Zeit, als der Luftdruck am geringsten war, sich in
gröfster Nähe von Insel und Schiff befand, eine mittlere Schnelligkeit von 6 Sm
auf der nach Schätzung 750 Sm langen Bahn sein. Hs ist indessen wahrschein-
lich, dafs die Schnelligkeit beim Passieren von Insel und Schiff eine weit
gröfsere, hingegen dort, wo die Umbiegung in der Bahn stattfand, eine beträchlich
geringere war. Wenn bei „Deutschland“ die Gewilsheit des kommenden Orkans,
im Gegensatze zu Mauritius, erst ganz kurze Zeit vor dessen Eintreffen erlangt
wurde, 80 ist außer der genauen Kenntnis der auf der Insel wohlbekannten
Gefahr und den so viel schärferen Beobachtungen am Observatorium zu berück-
sichtigen, dafs „Deutschland“ dem Orkan mit einer eigenen Schnelligkeit von
8 Kn entgegenlief, auch wegen der so viel gröfseren Breite des Schiffsortes
die Wahrscheinlichkeit des Antreffens eines Orkanes dort immerhin eine geringero
war. Der gröfseren Entfernung vom Orkancentrum entsprechend war bei
„Deutschland“ der geringste beobachtete Luftdruck noch um 6,83mm höher, als
auf Mauritius. Aus demselben Grunde erfolgte bei „Deutschland“ auch das
Umlaufen des Windes rascher und in gleichmäfsigerer Weise.