Ann, d. Hydr. usw., LXXI. Jahrg. (1943), Heft XII.
4109
Über die Periode freier Schwingungen in zwei durch einen engen Kanal
miteinander verbundenen Seen.
Von Gerhard Neumann, Hamburg, Deutsche Seewarte.
1. Problemstellung,
Zur Berechnung der Eigenperioden in Seen von unregelmäßiger Gestalt sind ver-
schiedene theoretische Methoden‘) entwickelt worden, die aber meistens in dem Falle ver-
sagen, wenn ein Teil des Seebeckens sehr stark verengt ist. Den genannten Theorien liegt
die Voraussetzung zugrunde, daß der Schwingungsvorgang im ganzen Schwingungsbereich
durch ein und dieselbe stetige Funktion der Zeit und des Ortes beschrieben werden kann.
Als eine solche charakteristische Funktion für den Schwingungsvorgang können wir z. B.
das Geschwindigkeitspotential der Welle ansehen und aus diesem die Horizontalgeschwin-
digkeiten u und die vertikalen Wasserverschiebungen ” für alle Punkte des Schwingungs-
beckens von einem Ende (x=0) bis zum anderen Ende (x = 1) ableiten, wenn die freie
Welle in dem von x == 0 bis x = 1 begrenzten Bereich „frei“ durechschwingt. Im Falle sehr
starker Querschnittsveränderungen ist diese Voraussetzung aber nicht immer erfüllt und
man wird die einzelnen Teile des Sces als getrennte Schwingungsgebiete
eines aus mehreren Bereichen zusammengesetzten Schwin-
gungssystems auffassen müssen. Ist z. B. ein langgestreckter See an einem Ende
durch einen engen Kanal mit der offenen See oder mit einem zweiten Wasserbecken ver-
bunden, dann werden bei genügender Enge der Durchflußöffnung im langgestreckten See
stehende Wellen auftreten, die wegen der plötzlich sehr stark zunehmenden Reibung (be-
hinderter Wasseraustausch) auch am unvollständig geschlossenen Ende in erster Annähe-
rung einen Schwingungsbauch haben, so daß die eigentliche freie Schwingung des Sees
nur bis zu dieser Stelle reicht. Nun wird aber bei jedem Anstieg des Seespiegels am
anvollständig geschlossenen Ende eine gewisse Wassermenge durch den Kanal abströmen
und bei jedem Fallen wieder zurückfließen. Die wirkliche Eigenperiode des Sees wird des-
halb eine andere sein als bei vollständig gedachtem Abschluß oder bei freiem, ungehin-
dertem Durchschwingen durch den Kanal. Die Wassermasse im Verbindungskanal
„Schwingt‘“ zwar auch mit der Periode der Eigenschwingung des Sees, doch ist dieses
periodische Hin- und Herströmen des Wassers im Kanal physikalisch ein ganz anderer
Vorgang als die Horizontalverschiebung der Wasserteilchen bei der stehenden Welle im
Seehecken und gehorcht auch ganz anderen Gesetzen.
Wir betrachten den Fall, daß ein langgestreckter See durch einen engen Kanal an
einem Ende mit einem zweiten, kleineren Wasserbecken verbunden ist und fragen nach
der Kigenperiode dieses Schwingungssystems?). In der Natur ist dieser Fall im System
Ostsee—Darßer Schwelle —Mecklenburger und Kieler Bucht angenähert verwirklicht: Die
Untersuchung der Schwingungsverhältnisse der Ostsee gab auch die erste Veranlassung
zur theoretischen und experimentellen Behandlung dieses Problems.
2. Berechnung der Eigenperioden.
Das rechteckige Wasserbeecken I (Abb. 1) von der Länge 1,, der Breite b, und der kon-
stanten Tiefe h, stehe mit einem zweiten, kleineren Wasserbecken IT bei x -— 1. in Verhin-
dung, dessen Länge 1. und
dessen Breite und Tiefe b, und
hz sei. Der Verbindungskanal
zwischen den beiden Becken
habe die Tiefe h, die Breite b
und die Länge 1. Der Aufgabe
gemäß soll bh £ bh, h, sein und
außerdem ] <<]. Die Schwin-
gungen im Becken II sollen Abb. 1.
durch einfaches Voll- und Leerlaufen dieses Bassins im Rhythmus der Eigenperiode des
gesamten Schwingungssystems zustande kommen.
) Z. B. von Chrystal; Honda, Terada, Yoshida, Isitani: Defant:
Proudman: Hidaka. — *7) Das analoge akustische Problem hat E. T. Paris (Proc.
R. Soc. A, 1922, S. 391) behandelt.
Ann. dd. Iirdı. usw. 1948. Heft XL