Heybrock, W.: Neue Untersuchungen über die Temperatur von Gletscherflüssen. 309
geringere Wasserführung, höhere Lufttemperatur und niedrigere Seehöhe des
Meßortes, Bei beiden Wasserläufen wird zweifellos auch Gefälle bzw. Geschwindig-
keit sowie Kaskadenbildung eine Rolle gespielt haben, doch sind diese Faktoren
außerhalb direkter Ansatzmöglichkeit,
Schalfferner, Überraschend war das Ergebnis am Ende des S. Die Achse
dieses großen, mit weitem Firneinzugsgebiet versehenen Talgletschers ist im
wesentlichen nach NW fallend gerichtet, jedoch nimmt die Zunge zuletzt West-
richtung an. Die Kulmination liegt in der Mutmalspitze mit 3512 m. Zuflüsse
von seitlichem Hängeeis sind spärlich; sie dürften im Vergleich zum Hauptstrom
nur sehr untergeordnet sein. Der vom Schalfkogel selbst herabziehende kleinere
Gletscher steht nur noch hydrologisch, offenbar aber nicht mehr glaziologisch
mit dem eigentlichen großen S in aktiver Verbindung. Letzterer endigte mit
20 m langem und 8 m hohem Tor. Bei fast bedecktem Himmel und 6.2° Luft-
wärme fand sich die außergewöhnlich niedrige Wassertemperatur von 0.4°,
Dies läßt es als möglich erscheinen, daß die Insolation direkt oder indirekt
gewissen Einfluß auf die Wärme des subglazialen Gletscherflusses hat. An den
letzten beiden Tagen hatte eine Einstrahlung fast völlig gefehlt. Am Vorabend
und nachts waren schwere Regenfälle, in höheren Lagen Schneefälle nieder-
gegangen, Luft und Boden waren abgekühlt. Auch die ohnehin geringfügigen,
partiell über freies Gelände gehenden Zuflüsse kühlten ab und wurden in
niedriger Temperatur gehalten, so daß der subglaziale Hauptstrom, der am
Gletscherende etwa 3.5 cbm/sec Wasser führte, nur noch sehr geringe Wärme-
zufuhr erhielt und auf eine Temperatur gedrückt wurde, die der absoluten
unteren Grenze des bei einem Giletscherfluß überhaupt Möglichen bereits außer-
ordentlich nahe kommen dürfte,
Man kann sich allerdings auch vorstellen, daß die Temperatur von Gletscher-
flüssen noch aus einer anderen Ursache Schwankungen, in diesem Fall also einer
erheblichen Erniedrigung unterworfen sein kann, und zwar, wenn man sich ver-
gegenwärtigt, daß der subglaziale Strom eine größere Strecke von Bodeneis,
Toteis oder in die Wölbungen seines Laufes niedergestürzter Eistruümmer zu
passieren hat, an denen eine sekundäre Abkühlung erfolgen könnte. Inwieweit
eine solche Annahme bei dem S zulässig ist, kann schwer entschieden werden.
Praktisch würde zweifellos jeder Gletscher seinem Fluß ähnliche Bedingungen
gegenüberstellen können. Aus einem Wechsel der letzteren würde vielleicht auch
z. B. die eigentümliche Temperaturdifferenz mit erklärt werden können, die sich
am Abfluß des Zejgletschers (Zentralkaukasus, Adai Choch-Gebiet) ergab, wo
M. v. Döchy(s) am 1.7.1886 um 1830 1.5°, der Referent(«) am 30, 7, 1935 um
1835h jedoch nur 0.8° ermittelte, obwohl der Eisstrom (s) sich inzwischen wohl
hicht unwesentlich verkürzt und an Masse eingebüßt hatte. Absolut sicher ist aber
eine derartige Annahme nicht. Sie soll lediglich als mögliche Ursache angedeutet
werden. Im übrigen wies der Zeijfluß einige Tage später um 1645h an der Ver-
einigungsstelle mit dem Skaßkifluß nach 3.8 km langem Lauf 2.0° auf, letzterer
hingegen nach nur 2.9 km Abstand vom Skaßkigletscher 4.1° bei drei- bis vierfach
geringerer Wassermenge gegenüber ersterem (Luft 6.6°, ab 10% dichter Nebel).
Auch ein subglazialer Wasserlauf wird stets das Bestreben haben, den tiefsten
Punkt des Talprofils zu erreichen und der Talachse weiter zu folgen. Er wird
alle dieser Tendenz entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen
suchen. Steine wird er erodieren, um- oder überfließen oder mitbewegen, Eis
wird er zerschmelzen. Sein subglazialer Lauf dürfte also als ein der Talachse
folgender höhlenartiger Gang anzusehen sein, der vom Gletschereis sehr flach
überwölbt wird und dem, entsprechend den hinzutretenden Nebenflüssen, weitere
kleinere Gänge zustreben. Jede in diesem System eintretende Veränderung oder
Störung wird mit dem Bestreben der Wiederherstellung des Idealzustandes seitens
des Flusses und seiner Nebenläufe beantwortet werden. Es kann nicht beweifelt
werden, daß es in diesem Wechselwirken zwischen Wasser und Eis gelegentlich
zu vorübergehenden subglazialen fluviatilen Stauungen kommt. Weit häufiger
dürften naturgemäß streckenweise subglaziale Flächenberührungen zwischen
beiden sein mit dem Effekt einer Abkühlung des Wassers gegen den Eispunkt.