Prüfer, G.: Das Kimmtiefenproblem.
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Mit diesen Feststellungen ist zunächst geklärt, weshalb alle Bemühungen,
auf empirischem Wege eine Kimmtiefenformel auf Grund einer Temperatur-
differenz Luft-Wasser zu gewinnen, scheitern mußten, Man traf während der
Beobachtungen, je nach den meteorologischen und geographischen Verhältnissen,
mehr oder minder stationäre bzw. nichtstationäre Zustände an, so daß die Er-
gebnisse zwischen beiden Extremen: der möglichen Kimmtiefenformel des
stationären Falles und der nichtmöglichen Kimmtiefenformel des nichtstationären
Falles schwanken mußten,
Doch weiter:
3. Der für die Temperatur der Wasseroberfläche und die der unteren Luft-
schicht (etwa 0.3 bis 0.5 m über dem Wasser) berechnete Austauschkoeffizient
ist von der Größenordnung des Koeffizienten der molekularen Diffusion.
Das bedeutet: Der Wasseroberfläche liegt unmittelbar eine Luftschicht auf,
in der ein Austausch in vertikaler Richtung, somit eine Turbulenz, nicht
existiert, und in der der Wärmetransport durch Wärmeleitung erfolgt. Diese
Schicht ist als Prandtische Grenzschicht mit laminarer Strömung aufzufassen.
Denn wäre die Strömung nicht laminar, so gäbe es in ihr Turbulenz und damit
einen Austausch mit einem Austauschfaktor größer als der Koeffizient der
Wärmeleitung. Dieses Ergebnis gilt nur bei Windstärken bis zu sechs Beaufort.
Bei größeren Windstärken ist nicht beobachtet worden,
Das Resultat 3 erklärt die Ergebnisse 1 und 2. Die Grenzschicht sperrt
die Wassermasse gegen die Luftmasse ab. Bei hinreichend langer Lagerung der
Luftmasse über der Wassermasse kann sich ein Gleichgewicht zwischen den
Temperaturen der einen und der anderen bilden. In diesem Fall ist die Ober-
flächentemperatur des Wassers im Verein mit der Lufttemperatur an einer
Stelle repräsentativ für den Temperaturgradienten der Luft, In jedem advek-
tiven Falle (der Luft oder des Wassers) existiert irgendeine Beziehung zwischen
dem Temperaturgradienten und der Temperaturdifferenz Luft-Wasser nicht.
4. Zwischen der Grenzschicht und der Luftmasse gibt es eine Fläche bzw,
Verzahnungsschicht, die sowohl der Grenzschicht als auch der daraufliegenden
Luftmasse angehört. Die Temperatur dieser Fläche kann als Oberflächen-
temperatur der Grenzschicht und zugleich als Bodentemperatur der Luftmasse
betrachtet werden und sei mit T, bezeichnet, Diese Temperatur T, ist es nun,
welche effektiv als Kimmtemperatur des Lichtstrahls (am Abgangsort in der
Kimm) betrachtet werden kann, und welche gemeinsam mit der „Auges“tempe-
ratur (am Ankunftsort des Kimmstrahls) das Temperaturfeld, also das optische
Feld, des Lichtstrahls und somit seine Refraktion bestimmt (falls zwischen Kimm
und Auge keine Unstetigkeit im Temperaturfeld außer jener Grenzschicht vor-
handen ist, was nicht beobachtet worden ist).
Berechnet man nämlich aus der beobachteten Kimmtiefe, der Temperatur
in Augeshöhe und der gemessenen Augeshöhe nach der Theorie der Refraktion!)
diejenige Temperatur, welche der Lichtstrahl in der Kimm haben müßte, so er-
hält man Werte, die mit denen in der Kimm in der untersten meßbaren Luft-
schicht beobachteten derart übereinstimmen, daß die Abweichungen sich 1, als
zufällige Fehler, 2. als innerhalb der Meßgenauigkeit liegende, doch notwendige
Unterschiede beweisen lassen (denn der Temperaturgradient in der Luftmasse
ist immerhin so klein, daß ein Temperaturunterschied zwischen 0.2 bis 0.5 m
voneinander entfernt liegenden Stellen sich mittels ABmann nicht messen 1ä8t).
Diese Temperatur T, und ihre hinreichende Übereinstimmung mit der in
Bodennähe gemessenen Lufttemperatur existierte immer (bis auf zufällige
Fehler), sowohl in den stationären Fällen 1 wie in den advektiven Fällen 2.
Das bedeutet: Man braucht keine andere Formel als die aus der Theorie
der Strahlenbrechung a priori für die Kimmtiefe gegebene mitsamt deren
theoretischen Koeffizienten, um die Kimmtiefe zu berechnen, vorausgesetzt,
daß man die Augeshöhe, die „Auges“temperatur und die Bodentemperatur der
Luftmasse (über See) kennt. Diese sind meßbar., Die für die Praxis notwendige
ty Die hierbei gemachten. Voraussetzungen seien au dieser Stelle nicht diskutiert.