118
Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, April/Juni 1943.
Das Eis im Kaspisee.
Von Julius Büdel, Berlin, z. Z. Deutsche Seewarte, Hamburg.
{Hierzu Tafel 8.)
Mit 439 000 qkm Fläche reiht sich der Kaspisee als der weitaus größte
Binnensee der Erde bereits dem Umfang mittelgroßer Nebenmeere ein (Ostsee
422000, Schwarzes Meer 453 000, Nordsee 573 000 qkm). Mit reichen Robhstoff-
quellen, vor allem den größten Ölfeldern Europas an seinen Küsten steht er
auch in der Bedeutung seiner Schiffahrt dem örtlichen Verkehr jener Meere
kaum nach, Sein Salzgehalt und das Vorkommen echter Meerestiere (Robben,
Heringe, Seemuscheln) vervollständigen den Eindruck eines Meeres, dessen Rang
ihm auch der Volksmund stets verlieh, In der Tat war der (damals viel größere)
See noch im Eiszeitalter mit dem Asowschen Meer und damit dem Weltmeer
verbunden und hat sich erst in der geologischen Gegenwart auf seinen heutigen,
um einen Mittelwert von 25.5 m unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres schwan-
kenden Stand eingestellt, .
Trotz seiner einzigartigen Größe wurde der Kaspisee bis jetzt noch wenig
erforscht. Die hier gebotene erste wissenschaftliche Darstellung seiner Eisver-
hältnisse stützt sich — neben durchweg sehr allgemeinen älteren Angaben (s) —
vor allem auf die Meldungen der 20 neuen russischen Eisbeobachtungsstellen,
die seit 1925 bzw. 1926 gedruckt vorliegen und bis zum Jahre 1932, also für
eine 6- bis 7jährige Reihe, erreichbar waren (The state of the ice in the seas
of the USSR., Leningrad, I—VIII). Aus diesen Meldungen wurden Mittelwerte
der Vereisung für verschiedene Eisarten in milden, mittleren, strengen und sehr
strengen Wintern abgeleitet und darnach die Monatskarten (Tafel 8) entworfen.
Bei einer nord-südlichen Längserstreckung von über 11 Breitengraden hat
der Kaspisee an sehr verschiedenen Klimaten Anteil. Im Meridianfeld Mittel-
europas würde er sich von einem mit 36° 35’ knapp südlich der Stadt Tunis
gelegenen Punkt genau bis Innsbruck (47° 15’) nordwärts erstrecken, Im
Vergleich zu diesen beiden Punkten sind jedoch die klimatischen Gegensätze
— insbesondere im Winter — im Bereich des Kaspisees wesentlich größer:
während die mittlere Januar-Temperatur der Südküste mit rund + 7.2° € hinter
derjenigen von Tunis (+ 9.8° nur wenig zurückbleibt, herrscht am Nordrand
des Sees gegenüber der (reduzierten) mittleren Januar-Temperatur von Innsbruck
(— 0.3°) eine solche von fast — 11°, wie sie an den Küsten Europas erst unter
dem Polarkreis im Bereich des Weißen Meeres, d.h, mehr als 30 Breitengrade
nördlich von Tunis wieder erreicht wird (vgl. hierzu Abb. 1).
Dieser Gegensatz liegt in der Lage des Kaspisees am Südrand des asiatischen
Winterhochs begründet. In Westeuropa wird das zum Pol hin gerichtete Tempe-
raturgefälle im Winter fast ganz durch den west-Östlichen Gegensatz zwischen
Ozean und Festland übertönt. Von Iran nach Innerasien nimmt dagegen die
Ozeanität des Klimas von Süden nach Norden, d.h. in derselben Richtung wie
die geographische Breite und zugleich auf den winterlichen Kältepol der Erde
hin ab, so daß hier ein äußerst rascher Klimawandel erfolgt.
Das große Südbecken des Kaspisees berührt im Westen und Süden eben
noch die Ausläufer der peripheren Subtropenklimate Vorderasiens. Das be-
sonders milde Winterklima der Kaspischen Niederung Nordirans wird dabei
ganz wesentlich durch das nördlich vorgelagerte breite und tiefe Seebecken
selbst erzeugt (Abb. 1 u. 2): von Osten einbrechende Kaltluft wird hier erwärmt
und aufgelockert, sie kann damit im Bereich der hier örtlich entstehenden zyklonalen
Luftbewegung die Südküste des Kaspisees nur noch in ihrem alleröstlichsten Teil
erreichen. Dazu kommt, daß dieses Südbecken noch im Bereich der jungen süd-
eurasischen Kettengebirge gelegen ist. Die Grenze dieses Bereiches führt von
Nordwesten her am Nordfuß des Kaukasus entlang, quert den See an der Stelle
seiner stärksten Einschnürung zwischen der Halbinsel Apscheron (nördl, Baku)
und Kap Kuuli (nördl. Krassnowodsk) und zieht dann nördlich des Balchan- und
Kopet-Dagh-Gebirges am Südrand der turkmenischen Wüste weiter nach Süd-
osten. Bei dieser Lage wird insbesondere die transkaukasische Westküste des