Bartels, J.: Statistik in der Geophysik,
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Statistik in der Geophysik.
Von Julius Bartels, Potsdam.
4. Die Studien- und Diplomprüfungsordnung für Studierende der Geophysik,
der Meteorologie und der Ozeanographie (ı) verzeichnet im zweiten Teil des
Studiums, in der fachlichen Ausbildung, die „Analyse geophysikalischer und
meteorologischer Beobachtungen“: Graphische und numerische Methoden;
Statistik; Periodenforschung; Kugelfunktionen, Die folgenden Zeilen bringen
dazu einige Gedanken, die auf Erfahrung bei Vorlesungen und bei der An-
wendung statistischer Methoden in der Geophysik beruhen.
Jeder Geophysiker, für den die Erfahrungsgrundlagen zum großen Teil in
der Form von langen Beobachtungsreihen vorliegen, wird die Notwendigkeit
der Anwendung statistischer Methoden bejahen. Das Bedürfnis wird um so
dringender, je mehr zeitlich veränderliche Größen an den Vorgängen beteiligt
sind, und je weiter sich die von der Natur dargebotenen Experimente entfernen
vom einfachen Charakter des wohldefinierten Laboratoriumsversuchs oder Ge-
dankenexperiments.
2. Am nächsten kommt man der Sachlage in der reinen Physik wohl noch
bei allen rein instrumentellen Arbeiten, aber auch allgemein bei Untersuchungen
über dıe Erdfigur (19), über Schwereverteilung, über Erdbebenwellen, und über die
geophysikalischen Wirkungen der obersten Kruste (meist als „Angewandte Geo-
physik“ bezeichnet); hier wird man in der Regel ohne Statistik auskommen,
soweit man nicht, wie in der Geodäsie, durch überschüssige Beobachtungen die
Gensuigkeit prüfen und erhöhen will, was zur Fehlertheorie und zur Ausgleichs-
rechnung führt. Andere Fragen der Physik des festen Erdkörpers führen aber
schon auf Statistik, z. B. die zeitliche und Örtliche Verteilung der Erdbeben,
die Polschwankungen, die Ebbe und Flut des Erdkörpers, die Säkularvariation
des inneren Teils des erdmagnetischen Feldes, In der Ozeanographie und
Hydrologie beanspruchen statistische Methoden noch größeren Raum, und den
größten Anteil hat die Statistik bei allen Untersuchungen atmosphärischer Vor-
gänge, also in der Meteorologie, Aerologie und Klimatologie, in Untersuchungen
über Luftelektrizität, über kosmische Ultrastrahlung, über den äußeren Teil des
erdmagnetischen Feldes, über die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen, über
die Ionosphäre, über alle Einflüsse der Sonne und des Mondes.
Merkwürdigerweise erfreut sich aber die Statistik in der Geophysik — wozu
wir die Periodenforschung und die Entwicklungen nach Kugelfunktionen rechnen
wollen — durchaus nicht allgemeinen Ansehens, Im Gegenteil: Manche Meteo-
rologen z. B. untersuchen grundsätzlich nur einzelne Wetterlagen und vermeiden
es peinlich, mit einer Mehrzahl von Fällen zu arbeiten oder gar Durchschnitte
zu bilden, und zwar aus einer (mehr oder weniger ausgesprochenen) Verachtung
statistischer Methoden, die als geistlose Rechnerei angesehen wird. Allerdings
hat man früher gelegentlich auch das andere Extrem vertreten in dem Vor-
schlag, die weitere Sammlung des sich immer höher türmenden Beobachtungs-
materials einzuschränken zugunsten gründlicher Bearbeitung des vorhandenen;
die Gedanken von J. Hann (2) zur Abwehr eines mit großem Temperament
vorgebrachten Vorstoßes in dieser Richtung sind noch heute lesenswert.
3. S. Chapman und der Verfasser haben eine handbuchartige Darstellung
des Erdmagnetismus {s) dreifach unterteilt; Zwischen TeilX („Beobachtungs-
methoden und beobachtete Erscheinungen“) und Teil III („Physikalische Theorie
der erdmagnetischen Erscheinungen“) ist Teil II eingeschaltet: „Die Analyse und
Synthese erdmagnetischer Beobachtungswerte“. Diese neuartige Einteilung wird
dort folgendermaßen begründet:
„in manchen Gebieten der Geophysik — wie Meteorologie oder Erdmagnetismus — werden
statistische Methoden viel verwendet. Zwischen die eigentlichen Beobachtungen und die Diskussion
der physikalischen Natur der beobachteten Erscheinungen schiebt sich die Aufarbeitung der Beobach-
tur gen, die Analyse mit statistischen und anderen mathematischen Methoden, und die Synthese
zum Zweck dr Zusammenfassung wesentlicher Züge der Erscheinungen als Grundlage der Theorie.
Dieses Zwischenstadium fehlt. im allgemeinen in der Laboratoriumsphysik, weil man dort die Ver-
suche sorgfältig planen und ausführen kann im Hinblick auf bestimmte isolierte Fragen. Dagegen