Die Küste, 72 (2007), 65-103
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6. Modellkonzepte im Küstennahfeld
6.1 Ausbreitung und Modifikation im Küstenbereich
und in Ästuaren
Die Ausbreitung von Tsunami im Küstenbereich war Gegenstand verschiedener Mo
delltests. Pedersen (2004) findet, dass Dispersion für diesen Testfall wichtig ist, die Berück
sichtigung von Nichtlinearität dagegen weniger. Entscheidend in numerischen Simulationen
ist die Gitterauflösung. Chubarov et al. (2003) erzielten bei der Reproduktion des Anstiegs
des Wasserstands im Wellenschatten einer Insel auch mit einem hydrostatischen Modell gute
Ergebnisse, allerdings bei einem Gitterabstand von 50 m. Außerdem zeigten Vergleichsrech
nungen (Pedersen, 2004), dass hydrostatische Modelle zwar den Wasserstand angemessen
simulieren, die Geschwindigkeit der Wasserteilchen aber unterschätzen.
Der Tsunami vom Dezember 2004 hat für den Indischen Ozean im Bereich der Model
lierung von küstennahen Prozessen auch in Deutschland zu einer Intensivierung der Ent
wicklungsarbeiten geführt. Das Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften
(ZMAW), das Institut für Küstenforschung des GKSS-Forschungszentrums (GKSS) und
andere deutsche Institutionen haben das Thema aufgegriffen (siehe z.B. Androsov et ah,
2005). In der GKSS wird im Rahmen eines Projektes des BMBF das Modell MIKE21 BW
verwendet, ein Modell auf Grundlage der Boussinesq Gleichungen (GÜNTHER et ah, 2005).
Von diesen Untersuchungen könnten auch Simulationen im deutschen Küstenbereich profi
tieren. Es ist nach Abschnitt 5.3.2 zu erwarten, dass Prozesse an deutschen Küsten zwar
ähnlich, aber weniger energiereich ablaufen werden als vor Sumatra.
Die Modellierung von Boren erfordert Lagrangesche Modelle (Kojl, 2007) oder Parame
trisierungen. Tsunami, die in Ästuare einlaufen, werden sich wie Gezeitenwellen unter dem
Einfluss von Bodenreibung und Querschnittsverengung ebenfalls verkürzen, erhöhen und
im vorderen Teil steiler werden. Dies wird von nichtlinearen und auch von hydrostatischen
Modellen reproduziert. Das BSH Modellsystem enthält allerdings kein Ästuarmodell.
6.2 Ausbreitung auf Land
Die Ausbreitung auf Land („run up“) wurde vor dem Tsunami vom Dezember 2004 von
operationeilen Modellen zur Warnung vor Tsunami nicht berücksichtigt. Seitdem gelang es,
sowohl in MOST als auch in das japanische Modell Tsunami-N2 (IMAMURA et ah, 2006) die
Simulation von Überschwemmungen zu integrieren und bereits registrierte Tsunami zu re
produzieren (Geist et ah, 2006). Ein neuerer Vergleich unterschiedlicher Modelle hinsicht
lich ihrer Fähigkeit, „run up“ zu simulieren, findet sich in der Arbeit von HORRILLO et ah
(2006).
BSH-Modelle simulieren problemlos das Kommen und Gehen des Wassers in den Watt
gebieten, ihr Trockenfallen und Überfluten. Die Überströmung höher liegenden Landes und
von Deichen wird jedoch nicht reproduziert.
Schließlich ist bei einer tatsächlichen Überschwemmung durch einen Tsunami in nord
deutschen Marschlanden zu bedenken, dass Gras einem als Bore auflaufenden Tsunami we
nig Energie entzieht und dass ein Tsunami sich in kleinen Kanälen wegen der größeren Tiefe
schneller ausbreiten würde als auf Land. (Im Normalfall muss jedoch ein Tsunami einen
Deich überströmen, ehe Marschland überflutet wird, so dass danach wenig an Wellenstruktur
erhalten bleibt.)