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Anhalt der Schiffsposition; die Chronometer schienen demnach eine, etwa 20 Sm
zu geringe westliche Länge zu ergeben. Am nächsten Tage, wo der Wind ganz
denselben Gang von Süd durch alle Kompassstriche machte, stellte sich ein
intensiver Nebel ein, der erst am Vormittag des 26, Mai aufklarte. Inzwischen
war aber die 100 Faden-Linie angelothet und das Schiff auf der ungefähren
Breite von Kap Henry in Lothungen zwischen 30 bis 35 Sm gehalten worden.
Bei dem Zertheilen der Nebel war das Land am Mittag durch Luftspiegelung
auf etwa 30 Sm gesehen worden, und am Abend kam Kap Henry-Feuer in WNW
in Sicht. Wie sich nun ergab, war die observirte Länge bis auf einige Zeit-
Sekunden richtig und damit der Beweis geliefert, dass allzu festes Vertrauen auf
den Golfstrom nicht angebracht ist.
Am 27, Mai wurde mit leichten südwestlichen bis nordwestlichen Winden
ohne Erfolg vor der Einfahrt der Chesapeake - Bai gekreuzt, bis an Abend ein
leichter südlicher Wind es ermöglichte, Kurs zu steuern, Um 7 Uhr konnte
bei Kap Henry ein Lootse an Bord genommen werden, unter dessen Anweisung
um 11*p.m. in Nord von Henry-Leuchtthurm wegen Stille geankert wurde, um
am nächsten Morgen mit der Fluth weiter zu segeln. Bei diesem Vorhaben
landen wir ganz ungeahnte, durch Strömungen hervorgerufene Schwierigkeiten,
so dass es uns trotz aller angewendeten Mühe erst am 29, Mai Abends gelang,
las Kap zu passiren und Hampton Roads zu erreichen.
Der Strom soll in der Einfahrt als Fluthstrom nach NW, als Ebbestrom
nach SE setzen, und im Allgemeinen in den regelmässigen Intervallen. In Folge
Jer heftigen Regengüsse, welche in den zur Bai gehörigen Flussgebieten im
Monat Mai stattgefunden hatten, verdrängte jedoch der Ebbestrom den Fluth-
strom fast gänzlich, so dass letzterer nur einige Stunden in kaum merklichem
Lauf und höchst wahrscheinlich auch nur an der Oberfläche zur Geltung kam,
während die Ebbe als Unterstrom fortlief, Nur so war es uns erklärlich, dass
das Schiff unter Umständen, wo es sonst vermöge seiner Segel- und Steuer-
fähigkeit gut und zuverlässig segelt und manövrirt, scheinbar unmotivirt wie
auf den Fleck gebannt war und trotz aller Hülfe, die zum Wenden oder Halsen
mit Steuer und Segel gegeben wurde, vollkommen unlenksam blieb, so dass
die an zwei Tagen bei jeder Fluth stets erneuerten Versuche zu keinem anderen
Resultat führten, als dass das Schiff jedesmal weiter nach See zu ankern musste,
Der Wind war während dieser Zeit sehr umspringend, meistens aber günstig,
das Schiff nahm jedoch gewöhnlich ganz unabhängig vom Steuer einen der
Strömung entsprechenden Kurs auf.
Erst am 29, Mai Nachmittags gelang es uns mit frischom östlichem Wind
and mit Leesegeln an beiden Seiten das unbekannte Hinderniss langsam zu über-
winden. Dass ein Unterstrom wirksam war, konnte man eincentheils an den
Wirbeln uud Schaumblasen, die sich um das Schiff verbreiteten, anderentheils
daran beobachten, dass die zahlreich passirenden Küstenschoner nicht im Ge-
ringsten die Schwierigkeiten fanden, welche sich uns entgegenstellten.
Sobald wir die Bänke der Einfahrt und die Passage von Chesapeake-Bai
hinter uns hatten, trafen wir einen normalmässigen Fluthstrom an, unter dessen
Mitwirkung wir bei frischem Winde Abends 9'% Uhr Hampton Roads erreichten.
Nachdem wir am 30. Mai konträren Windes halber daselbst vor Anker
yelegen hatten, ermöglichte uns der in der Nacht nach einem schweren Gewitter
auf Nord (7) herumgegangene Wind am 31. Morgens in den Elizabeth River
einzulaufen.“
Aus den Reiseberichten S. M. Kbt. „Albatross“,
Korv.-Kapt. Mensing 1.)
S. M, Kbt. „Albatross“ hatte am 21. Januar d. J. von Aden aus die
Reise nach der Ostasiatischen Station fortgesetzt, war am 9. Februar in Point
de Galle angelangt, segelte vom 14. Februar bis 6. März von da bis Singapore
) S. „Ann, d. Hydr. ete.“, 1878, pag. 145.