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Zur Theorie der Meeresströmungen.
Von Dr. K. Zöppritz, Professor der Physik in Qiessen.!)
Obwohl scit langer Zeit von den meisten Seefahrern und Geographen
die Ansicht festgehalten worden ist, dass die grossen Aequatorialströmungen
des Meeres den Passatwinden ihre Entstehung verdankten, so ist doch meines
Wissens noch nicht unternommen worden, das physikalische Problem der Fort-
pflanzung von Oberflächengeschwindigkeiten in die Tiefe einer sehr ausgedehnten
Wasserschicht mit den Mitteln zu behandeln, welche die in den letzten 30 Jahren
ausgebildete Theorie der Reibung der Flüssigkeiten darbietet. Eine solche
Untersuchung war um so mehr geboten, als neuerdings von mehreren Autoren
bestritten worden ist, dass Oberflächenkräfte das Meer bis zu irgend erheb-
licher Tiefe in Bewegung zu setzen vermöchten, und gleichzeitig die willkür-
lichsten Annahmen über die 'Fiefe solcher Triftströmungen aufgestellt worden sind.
Das Wesen der inneren Reibung in Flüssigkeiten besteht darin, dass,
wenn eine ebene Flüssigkeitsschicht durch irgend eine Ursache in ihrer eigenen
Ebene mit gegebener Geschwindigkeit fortbewegt wird, die ihr anliegende Schicht
nicht in Ruhe bleiben kann, sondern, in Folge des molekularen Zusammenhangs
mit jener, einen Antrieb zur Bewegung in gleicher Richtung erfährt und bei
Fortdauer der gleichförmigen Bewegung der ersten Schicht selbst eine Ge-
schwindigkeit annimmt, die sich jener gegebenen immer mehr annähert. Diese
zweite Schicht übt nun auf eine dritte anliegende dieselbe Einwirkung aus, die
sie von der ersten zu erleiden gehabt hat und setzt dieselbe also in gleicher
Richtung in Bewegung, Die dritte Schicht zieht ebenso eine vierte mit, diese
voine fünfte und so fort, Die Uebertragung der Geschwindigkeit hat keine Grenze
ausser in der Begrenzung der Flüssigkeit selbst. Wird diese durch eine den
Schichten parallele feste Ebene gebildet, so wird erst an dieser, d. h. von der
letzten Flüssigkeitsschicht zur ersten festen Schicht die Geschwindigkeitsüber-
tragung aufhören.
Das Gesetz, nach welchem zwei benachbarte Schichten von verschiedener
Geschwindigkeit sich gegenseitig beeinflussen, ist schon von Newton aufgestellt,
und die von der Reibung ausgeübte beschleunigende Kraft unabhängig vom
Druck und proportional der Geschwindigkeitsdifferenz angenommen worden. Die
neuere Theorie der Reibung der Flüssigkeiten überträgt diese Grundannahme
auf die Geschwindigkeitsfortpflanzung zwischen Schichten desselben Mediums,
die sich in unendlich kleiner Entfernung £& von einander befinden und deshalb
auch nur eine unendlich kleine Geschwindigkeitsdifferenz A besitzen, indem sie
die auf der Flächeneinheit durch die Reibung hervorgebrachte Beschleunigung
dem Quotienten A:£ proportional setzt. Der Faktor &, womit dieser Quotient
multiplicirt werden muss, um die Beschleunigung zu ergeben, heisst der
Koefficient der inneren Reibung. Die Newtonsche Hypothese findet gleich-
falls Anwendung auf diejenigen Theile der Begrenzungsflächen der Flüssigkeit,
wo diese in Berührung mit anderen Körpern steht, die selbstständige Bewegung
haben können. Hier ist die von dem angrenzenden Medium, das fest, flüssig
oder gasförmig sein kann, übertragene Beschleunigung proportional der Ge-
schwindigkeitsdifferenz, die hier eine endliche sein kann. Den Proportionalitäts-
faktor nennt man den Koegfficient der äusseren Reibung. Ist der be-
grenzende Körper ein fester (oder auch flüssiger), so kann die Flüssigkeit ihn
benetzen, d.h. so fest an ilm haften, dass die ihn berührende Flüssigkeits-
schicht dieselbe Geschwindigkeit besitzt wie er selbst. Der äussere Reibungs-
koefficient ist in diesem Falle unendlich gross. Es ist dies z. B. der Fall
zwischen Holz und Wasser, Glas und Wasser; dagegen nicht der Fall bei Glas
und Quecksilber. .
Die Theorie, welche auf diese einfache Hypothese aufgebaut worden ist,
hat die vielfältigsten experimentellen Prüfungen erfahren und ist überall in
bester Uebereinstimmung mit den Thatsachen gefunden worden, so dass jene
Hypothese als erwiesen betrachtet werden kann.
1) Auszug aus einer Arbeit des Verfassers in den Annalen der Physik, N. Folge, Bd 3,
‘April 1878) S. 582, von dem Herrn Verfasser eingesendet.