2 Atmosphärenphysik
48
Nordseezustand 2004
biete abbilden. Die besondere geographische Lage der Nordsee im Übergangsbereich
von Islandtief und Azorenhoch bedingt die Unterdrückung von hybriden und wirbelhaf
ten Zirkulationsmustern, die auf kürzeren Zeitskalen für transiente Drucksysteme nicht
nur charakteristisch sind, sondern auch vorherrschen (vgl. Tab. 2-2, S. 39).
Die aktuellen Druckverteilungsmuster (Abb.2-10) stimmen qualitativ mit den klimatolo-
gischen Mustern (Abb.2-9) in den Monaten 1 (Januar), 9,11 und 12 überein, wie iden
tische Klassifizierungen (SW, W, W, W) belegen. Anhand der Abweichungen von der
Klimatologie, die in Abb.2-11 wiedergegeben sind, wird jedoch deutlich, dass etwa im
September und Dezember des Jahres 2004 eine deutlich verstärkte W-Zirkulation
herrschte. Diese Intensitätsanomalien bei »normaler« Zirkulationsform (W) illustrieren
nebenbei die Wirkung des in beiden Monaten extrem positiven NAO-Index (Abb.2-1,
S.33). In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass im April bei ähnlich hohem
NAO-Index eine verstärkte W-Zirkulation über der Nordsee aufgrund des blockieren
den Hochdrucks über Nordeuropa ausblieb. Stattdessen hatte die anomale Zirkulati
onskomponente SE-Charakter, der sich typischerweise - wie im Oktober 2004 - in
Verbindung mit negativen NAO-Zuständen einstellt (Abb.2-11).
An dieser Stelle scheint der Hinweis hilfreich, sich die aktuellen Druckverteilungsmus
ter als additive Überlagerungen der Klimatologie- und Anomaliekomponenten vorzu
stellen. Bei zugrunde liegenden Richtungsmustern ergibt sich danach die aktuelle Zir
kulationsform als qualitative Vektorsumme; beispielsweise resultiert die S-Strömung
im April 2004 aus W + SE. Ferner bewirken antizyklonale Anomalien eine Rechtsdre
hung der gewöhnlich gerichteten klimatologischen Zirkulationsformen, zyklonale eine
Linksdrehung; das CSW-Muster im August 2004 etwa ergibt sich aus W + C.
Wie bereits weiter oben vermutet, zeichnen sich die Anomalieverteilungen des Jahres
2004 durch eine erhebliche Variabilität von Monat zu Monat aus (Abb.2-11). Lediglich
zyklonale Muster zeigten eine nennenswerte Erhaltungsneigung im Sommerhalbjahr,
wenn der marginal zyklonale Charakter der Verteilungen im Mai und September ein
bezogen wird. Immerhin lässt sich die scheinbare Vielfalt der Anomalieverteilungen
mit etwas Mut zur Generalisierung auf drei Grundmuster reduzieren - nämlich N (2, 5,
11), W (6, 9, 12) und SE (1,4, 8, 10) - welche in den in Klammern bezeichneten Mo
naten des Jahres 2004 wiederkehrten.
Hieraus ist ersichtlich, dass die Abweichungen von den klimatologischen Druckmus
tern mehrheitlich die Meridionalkomponente des Windfeldes betrafen. Für Februar und
November beinhaltet dies eine Invertierung der meridionalen Transporte (N statt S), in
den übrigen Fällen eine verstärkte Meridionalzirkulation, die mit einem erhöhten Aus
tausch thermischer Energie zwischen niederen und höheren Breiten verbunden war.
Das alternierende Auftreten komplementärer meridionaler Grundmuster in den meis
ten Jahreszeiten erklärt darüber hinaus die schwache Ausprägung der saisonalen
Druckanomalien (Abb.2-8).
Das zeitliche Auftreten der N- und SE-Muster befindet sich in sehr guter Übereinstim
mung mit den Verteilungsgipfeln der NW- und SE-Wetterlagen (vgl. Abb.2-7,S. 43). Die
Korrespondenz des W-Musters mit den Anomalien der monatlichen Wetterlagenstatis
tik ist hingegen weniger offensichtlich. Insbesondere scheint die Häufung antizyklona-
ler Wetterlagen im Dezember mit einer verstärkten Westzirkulation nicht vereinbar,
denn diese Hochdrucklagen waren generell schwachwindig und bis zur Monatsmitte
vorherrschend (vgl. Tab. 2-1, S. 39). Die anschließenden kräftigen W-Lagen, die nicht
selten Sturmstärke erreichten, dominierten offenbar das Druckanomaliemuster im De
zember 2004.