lung hatte, sah er seine Aufgabe darin, einen möglichst strammen, bürokratischen Dienst
einzuführen.
Sein Bemühen war durchaus ehrlich, er verstand es eben nicht anders. So wurden denn
für alles umständliche Formen und fortwährende Termine eingesetzt. Wie die Arbeit war,
wurde nicht gefragt, aber der Termin und die Bürozeit mußten eingehalten werden — für
wissenschaftliches Arbeiten nicht sehr günstige Bedingungen. Nun, ich hatte es darin
noch gut, da ich an drei Tagen in der Woche auf der Drachenstation in Großborstel und
zu Hause arbeitete. An diesen Tagen und an den Abenden konnte ich hauptsächlich
Wissenschaft fördern, an der Seewarte fehlte die Konzentration dazu.“
Als Köppen die vielen Drachen über dem Heiligengeistfeld auf seinem Heimweg in der
Luft stehen sah, entstand in ihm der Wunsch, damit Instrumente in die Luft zu schicken.
Aber er meinte, daß
„dazu Erfindungen und unendliche Versuche gehörten, die wohl reiche Privatleute, aber
nicht vielbeschäftigte Beamte machen können.“
Er schaffte es, und 1903 stiegen über Hamburg und wenig später von Bord mehrerer
Forschungsschiffe Drachen mit meteorologischen Instrumenten in die Luft.
Diese Tradition setzt das Seewetteramt heute auf fünf Handelsschiffen und zwei Forschungs-
schiffen im internationalen Projekt ASAP fort. Sonden an Ballons erkunden die Atmosphäre
über den Ozeanen bis über 20 km Höhe und setzen ihre Messungen vollautomatisch über Satellit
an die meteorologischen Zentralen ab,
Die Seewarte gab nicht nur die erste regelmäßige deutsche Wetterkarte in Hamburg 1876,
ain Jahr nach ihrer Gründung, heraus, sondern erarbeitete auch die ersten Höhenwetterkarten.
Ab 1.10.1934 wurden Höhenkarten regelmäßig veröffentlicht.
Scherhag, Seilkopf, Rodewald und Rudloff trieben diese Entwicklung voran. Scherhag
entwickelte an den Höhenwetterkarten seine Divergenztheorie. Die Begriffe „Delta“ und „Ein-
zugsgebiet“ einer Frontalzone entstanden. Rodewald beschrieb die Dreimasseneck-Situation
und Seilkopf bezeichnete den in das Delta „hineinschießenden Höhenstrom“‘ 1938 als Strahl-
strom, den die Amerikaner vor Japan erneut entdeckten und Jetstream nannten. Als erster
beschrieb ihn Georgi nach Beobachtungen über Island während einer Expedition. Auch die
berühmten Expeditionen Alfred Wegeners nach Grönland wurden von der Deutschen Seewarte
organisiert.
Die Erfahrungen aus diesen Expeditionen dienten den frühen Beratungen der transatlanti-
schen Luftschiffahrt durch die Seewarte. Die Zusammenarbeit der Seewarte mit der Luftfahrt
ermöglichte die ersten Fahrten um die Erde mit Luftschiffen und die Linienflüge der Lufthansa
mit Flugbooten und auch viermotorigen Propellerflugzeugen nach Nord- und Südamerika sowie
Ostasien. Ab 1935 nahmen rund 10 deutsche Handelsschiffe laufend Höhenwindmessungen vor,
Die Deutsche Seewarte wuchs vor dem Ersten Weltkrieg ohne Verzug zu einer erfolgreichen
nautisch-meteorologisch-hydrographischen Reichsanstalt an und zählte vor dem Zweiten Welt-
krieg zu den führenden Fachinstituten der Welt. Diese wissenschaftlich erfolgreiche und auch
international sehr anerkannte Tätigkeit endete jäh mit dem Zusammenbruch 1945, Es blieb eine
Ruine, ein Trümmerhaufen. Nach ihrer Auflösung, gemäß Beschluß des Kontrollrates der Alliier-
ten 1945, blieben alle Versuche einer Wiederbelebung der Seewarte erfolglos.
Die Seewarte war ein erfolgreiches Dienstleistungsinstitut, geprägt durch angewandte For-
schung und ihre Nutzung für die Praxis. Kommerzielles Denken und Verwaltung standen nicht
im Vordergrund.
Ein früherer Abteilungsleiter des Seewetteramtes formulierte einen Ritter-von-Neumayer-
Gedenkspruch, der auch in heutiger Zeit von grundlegender Bedeutung sein kann:
‚Wenn Wissenschaft Verwaltung wird,
hat man sie meistens fehlgeführt
und muß ihr, soll sie überleben,
zum Forschen Zeit und Freiheit geben.“
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