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5. STURMFLUT AUSLÖSENDE LUFTDRUCKLAGEN UND WINDFELDER
Wie in allen halbgeschlossenen, fast gezeitenlosen Randmeeren werden Schwankungen
des Wasserspiegels an der Küste vor allem durch den Einfluss starker Wnde auf das
Oberflächenwasser verursacht (Welbinska 1964, Malicki, Welbinska 1992, Sztobryn et al.
1995, 2001, Stanislawczyk 2002). Der Wnd entsteht im Zuge einer atmosphärischen
Störung, die das Meer überquert oder sich in seiner Nähe befindet. Bei auflandigen Wnden
steigt der Meeresspiegel infolge des Wndstaus, während starke ablandige Wnde zu einer
erheblichen Senkung des Wasserstandes an der Küste führen. Wrd ein Gebiet von einem
aktiven atmosphärischen System, z.B. einer Tiefdruckzone geringen Durchmessers,
beeinflusst, so können vor und hinter dem System Windfelder mit genau entgegengesetzter
Richtung entstehen. Bewegt sich ein solches Tiefdrucksystem entlang der Küste, so können
an zwei verschiedenen Küstenabschnitten, die manchmal weniger als Hundert Kilometer
voneinander entfernt sind, Stürme aus entgegengesetzten Richtungen auftreten. Der Bereich
derartig starker Wndscherung, in der Regel entlang einer Okklusion, zieht mit dem
Tiefdruckgebiet weiter. Dagegen führen andere Luftdruckverhältnisse zu stürmischen
Wndfeldern, in denen die Wndrichtungen nicht so schnell wechseln.
In den Küstengewässern der südlichen Ostsee kommt es am häufigsten durch stürmische
Wnde aus den Sektoren W-NW bis O-NO zu Windstau, aber abhängig von den örtlichen
morphometrischen Verhältnissen sind auch andere Richtungen zu berücksichtigen. Die
westlichen Abschnitte dieser Küste sind durch Schwankungen des Wasserstandes mehr
gefährdet als die Küsten östlich der Odermündung.
Die vorliegende Monographie berücksichtigt nur die windstaubedingten Wasserstands
erhöhungen zwischen Wsmar und Kotobrzeg, die sich zwischen 1976 und 2000 ereigneten.
In diesem Zeitraum wurden 73 Sturmfluten in diesem Küstenabschnitt als windstaubedingt
klassifiziert. Während 17 dieser Sturmfluten wurde an mindestens einem Wasserstandspegel
ein Höchststand von 600 cm oder darüber gemessen. Alle untersuchten Sturmfluten wurden
durch auflandige Stürme unterschiedlicher Dauer mit einer dominanten N-Komponente der
Windrichtung verursacht. Es wurden mehrere typische Luftdrucklagen als Auslöser der
Starkwinde erkannt.
5.1 Nördliche Luftströmung über Skandinavien und der Ostsee
Wenn sich ein Hochdruckgebiet über den Britischen Inseln nach Skandinavien hin ausdehnt
mit Tendenz nach Osten hin, ziehen Tiefdruckgebiete südwärts entlang einer Linie vom
Nordosten Skandinaviens über Finnland nach Westrussland. Der Druckgradient über der
Ostsee wird steiler und die nördliche Luftströmung wird allmählich stärker und böiger.
Während der Entwicklung dieser Luftdrucklage treten zeitweise Schwankungen der
Wndgeschwindigkeit infolge wechselnder Pulsationen des Druckgradienten am Rand des
Tiefdruckgebiets auf. Außerdem entwickeln sich Störungen in Form sekundärer Kaltfronten
in der intensiven Luftströmung. Sie führen häufig zur Deformation der einheitlichen
Strömung: nördliche Winde im Vorfeld der Front drehen vorübergehend zurück auf NW - W,
manchmal sogar SW und drehen hinter der Front wieder auf N.
Bei der beschriebenen Luftdrucklage erreicht der Wnd in der Regel Sturmstärke, sobald sich
die nördliche Windrichtung im gesamten Gebiet durchgesetzt hat, was an der ganzen
südlichen Ostseeküste zu starkem auflandigem Sturm mit dem entsprechenden Wndstau
führt. Alle Wasserstandspegel zeigen dabei meistens einen allmählichen Anstieg des
Wasserspiegels, häufig mit Schwankungen.
Beispiele dieser Luftdrucklage sind die Sturmfluten am 11. April 1997 und am 17.-18. Januar
2000.
Abweichungen von der oben beschriebenen Lage treten auf, wenn Tiefdruckgebiete
südostwärts über die Ostsee oder über Land entlang der Ostküste der Ostsee zu den
russischen Ebenen ziehen und nach ihrem Durchzug ein Hochdruckrücken über
Skandinavien entsteht. Typisch für diese Luftdrucklage sind zunächst im Uhrzeigersinn
drehende Wnde über der Ostsee und der angrenzenden Küste. Vor dem sich verlagernden