2 Atmosphärenphysik 88 System Nordsee 2.5.2 Zeitliche Entwicklung Die zeitliche Entwicklung des Nordseewindes lässt sich in einem progressiven Vek tordiagramm gut veranschaulichen. Abb.2-22 zeigt virtuelle Trajektorien für die Jahre 2006 und 2007 gemeinsam mit dem Ensemble seit 1971. Diese Trajektorien entstehen durch sequentielle Vektoraddition der täglichen Windvektoren übers Jahr, wobei der Endpunkt eines Windvektors am Tag i den Anfangspunkt für denjenigen am Folgetag i + 1 bildet. Dieses kumulative Verfahren entspricht einer sukzessiven Integration des Vektorwindes über die Zeit, so dass die Achsen in Abb. 2-22 tatsächlich die Dimensi on einer Länge haben. Die virtuellen Trajektorien lassen sich demnach als schein bare Versetzungen auffassen, wobei eine Einheit von 1 m/s xTag einer Distanz von 86,4 km entspricht. Die Zeitmarken 1, 2, 3, ..., O, N, D bezeichnen die Monatsanfänge (Januar, Feb ruar, etc.). Der (geradlinige) Abstand zwischen zwei konsekutiven Zeitmarken divi diert durch die Monatslänge in Tagen liefert den monatlichen Vektorwind in m/s. Die scheinbare Nettoversetzung von 35505 km im Januar 2007 beispielsweise entspricht einer Windstärke von 13,3 m/s aus W (276°), während sich aus der Bruttoversetzung (Weglänge entlang der Trajektorie) von 41158 km eine mittlere Windgeschwindigkeit (Vel) von 15,4 m/s oder 7 Bft (»steifer Wind<) ergibt. Grundverschiedene Verhältnisse herrschten im Januar 2006 mit einem Vektorwind von 4,9 m/s (13136 km) aus SSW (200°) und einer mittleren Geschwindigkeit von 9,0 m/s (24069 km) bzw. 5 Bft (»fri sche Brise<). Eine Übersicht der monatlichen Windverhältnisse in beiden Jahren bietet Tab. 2-14, S. 90. Die Nettoversetzung im Jahr 2006/2007 entspricht einem mittleren Vektorwind von 4,0/4,2 m/s aus WSW/W (242/270°) und Rang 24/26 im Gesamtensemble (37), wel ches den Wertebereich von 1,7 (1996) bis 5,7 m/s (1990) abdeckt. Beide Trajektorien enden abseits bzw. Richtung N/SE vom klimatologischen »Schwerpunkt« (3,5 m/s, 253°, Abb.2-22). Das Jahresmittel der skalaren Windgeschwindigkeit lag im Jahr 2006/2007 bei 8,4/8,9 m/s und nahm Rang 12/29 im Gesamtensemble ein. Die ge ringste Windgeschwindigkeit trat mit 7,7 m/s 1987 auf, die höchste mit 9,7 m/s 1990. Für ein beliebiges Tagesdatum ergibt sich der klimatologische Vektorwind als resultie render Wind aus der mit dem Faktor 1/30 skalierten Vektorsumme der zum jeweiligen Datum gehörigen Winde des Zeitraums 1971 -2000. Die klimatologische Trajekto rie (grün) setzt sich sequentiell aus diesen täglichen Vektormitteln zusammen. Der Endpunkt jedes der 365 Teilstücke definiert den »Schwerpunkt« der Punktwolke des Ensembles am jeweiligen Tag, wie beispielhaft anhand der ausgezeichneten finalen Punkte der individuellen Trajektorien erahnbar ist (Abb. 2-22). Wie für die jährlichen Tra jektorien lassen sich mittlere Vektorwinde aus den (geradlinigen) Abständen zwischen beliebigen Zeitmarken ableiten. Während sich jedoch für jene aus der Bruttoverset zung auch die mittlere Windgeschwindigkeit ergibt, trifft dies für die klimatologische Trajektorie nicht zu 1 . Die klimatologische Trajektorie bietet eine kompakte Zusammenschau der jahreszeit lichen Veränderungen der atmosphärischen Aktionszentren (Islandtief und Azoren- 7. BeieinerGesamtlängevon 1439 m/s x Tag ergäbe sich beispielsweise im Jahresmittel eine Windgeschwindig keit von nur 3,9 m/s, welche die aus dem 30-jährigen Mittel der Weglängen der Einzeitrajektorien berechnete korrekte Geschwindigkeit von 8,6 m/s erheblich unterschreitet. Die Diskrepanz resultiert aus der »Unterschlagung täglicher Umwege«. Werden die täglichen Teilstücke durch die skalierten Seguenzen der jeweils 30 zugrunde Hegenden Vek toren ersetzt, führt dies zu einer »Entglättung« der klimatologischen Trajektorie auf eine Länge von 3151 m/s x Tag (schwarz In Abb. 2-22), die zur korrekten mittleren Windgeschwindigkeit passt.