2 Atmosphärenphysik 38 System Nordsee 2.1 Einführung Die Atmosphäre ist der Motor, der die Entwicklung des ozeanographischen Zustands der Nordsee wesentlich antreibt und steuert. Besonderheiten und Anomalien der at mosphärischen Zirkulation stehen vielfach am Anfang von Wirkungsketten, die sich über ozeanographische Zustandsvariablen, Verteilungsmuster von Schad- und Nähr stoffen bis hin zu biologischen Phänomenen wie Planktonblüten oder Veränderungen in der Artenzusammensetzung erstrecken. Die Interpretation ozeanographischer Zustandsanomalien setzt also Kenntnisse über den Zustand der Atmosphäre voraus, welcher maßgeblich durch die großräumige at mosphärische Zirkulation bestimmt ist. Der Zirkulationszustand selbst wird hier aus differenzierten Analysen der großräumigen Luftdruckverteilung über der Nordsee ab geleitet. Nahezu allen hier präsentierten Befunden liegen Luftdruckfelder im Meeres niveau zugrunde. Die Umstellung der primären Datenbasis auf NCEP/NCAR Reana- lysen stellt deshalb eine der wichtigsten Neuerungen dar. Ein Schwerpunkt des Kapitels besteht in der Untersuchung der Wetterlagen über der Nordsee. Diese beruhen auf einer Klassifizierung der täglichen Luftdruckfelder und werden zusammen mit gleichzeitig identifizierten Sturmereignissen als Wetterlagen kalender dokumentiert. Anhand eines von 27 auf 6 Hauptwetterlagen reduzierten Sets von Zirkulationszuständen werden monatliche, saisonale und jährliche Häufigkeits statistiken diskutiert. Weitergehende Untersuchungen betreffen die Lebensdauern der reduzierten Wetterlagen, die sich in guter Näherung als geometrisch verteilt erweisen, so dass sich die Wetterlagenentwicklung von Tag zu Tag als Zustandsänderung einer Markovkette interpretieren lässt. Die geographischen Verteilungen der monatlichen und saisonalen Luftdruckfelder der Jahre 2006 und 2007 werden mit entsprechenden Luftdruckklimatologien verglichen, um zugehörige Zirkulationsanomalien zu identifizieren und zu bewerten. Für die ge nannten längeren Zeitskalen stellen diese Felder jeweils aktuelle, typische und ab weichende mittlere Wetterlagen oder Witterungslagen dar, die sich in gleicher Weise wie die täglichen Felder klassifizieren lassen. Die im Prinzip beliebige Entstehungs geschichte dieser mittleren Zirkulationsstände bleibt hier anhand der Wetterlagenka lender nachvollziehbar. Weitere Schwerpunkte des Kapitels bestehen in der statistischen Analyse des für die Region Nordsee repräsentativen >Nordseewindes<, der als Beiprodukt der Wetterla genklassifizierung anfällt, sowie des Sturmaufkommens im Nordseeraum. Die Um stellung auf NCEP/NCAR Luftdruckfelder machte Anpassungsarbeiten hinsichtlich der Sturmquantile des Sturmidentifizierungsverfahrens erforderlich, die ebenfalls do kumentiert sind. Ein relevantes Teilergebnis - der verwendete Sturmindex folgt einer Pareto-Typ-2 Verteilung - beinhaltet, dass Wind- und Rotationsgeschwindigkeiten in Stürmen nicht beliebig groß, sondern in der Höhe beschränkt sind. Der Nutzen der über die allgemeine atmosphärische Zirkulation gewonnenen Kennt nisse wird schließlich im Rahmen der Interpretation von Jahresgängen der Sonnen einstrahlung sowie der Lufttemperatur demonstriert. Atmosphärischen Ursachen für Zustandsanomalien ozeanographischer oder chemischer Variablen wird ggf. im Rah men der Diskussion der jeweiligen Zustandsgröße Rechnung getragen. Zusammenfassungen der jeweiligen Hauptkapitel findet der Leser gesammelt in Kap. 2.8, S. 106.