Nordseezustand 2004 9 Zusammenfassung Die Nordsee ist ein komplexes System, dessen Zustand und Zustandsänderungen na türlichen Prozessen und menschlichen Eingriffen unterworfen sind. Zu letzteren zählt die Beeinträchtigung des ökologischen Zustands durch Schad- und Nährstoffe, die bei den verschiedensten industriellen Aktivitäten der bevölkerungsreichen Anrainerstaa ten anfallen und über belastete Fließgewässer und die Atmosphäre in die Nordsee ein getragen werden. Inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass dieselben Akti vitäten nicht ohne Auswirkung auf Intensität und Verlaufsform der natürlichen Prozesse geblieben sind. Beispielsweise wurde anhand von lokal bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Oberflächentemperaturanalysen nachgewiesen, dass sich im Nordseeraum seit min destens 130 Jahren Kalt- und Warmperioden, die jeweils etwa 5-15 Jahre andauer ten, spontan ablösten. Diese natürlichen Regimes und Regimesprünge der Tempera tur und entsprechende ursächliche Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation wurden als >Mischmasch-Klima< bezeichnet. Dass die gegenwärtige, seit 1988 andau ernde, längste und wärmste Temperaturperiode seit Beginn der Messungen im Jahr 1873 den Einfluss der anthropogenen Klimaerwärmung anzeigt, lässt sich kaum noch bestreiten. Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen nicht nur die Temperatur und tempera turabhängige Zustandsgrößen, sondern letztlich alle Systemvariablen der Nordsee, die vom Zustand der Atmosphäre abhängen. Zu den hier näher untersuchten Variab len zählen Wasserstand und Meereis; Regimeshifts und Klimawandel spiegeln sich je doch auch in der Stärke der Primärproduktion, Artenzusammensetzung und Fischmi gration wider. Die »Wartung und Reparatur« von technischen Systemen wie Motorrädern oder bio logischen Systemen wie dem Menschen setzen insbesondere ein ganzheitliches Ver ständnis des Systems, seiner Funktionalität und der ineinander verschränkten Prozes se beim Mechaniker oder Arzt voraus. Mit der gemeinsamen Darstellung des atmosphärischen, ozeanographischen und chemischen Zustands der Nordsee wird eine Integration der Ergebnisse aus den Teildisziplinen angestrebt, die auf ein verbes sertes ganzheitliches Verständnis des Systems Nordsee abzielt. Dieses Verständnis ist Voraussetzung für eine nachhaltige Bewirtschaftung und wirksame Systemeingriffe zum Schutz der Meeresumwelt. Die wichtigsten Ergebnisse zum Zustand der Nordsee im Jahr 2004 sind in den nach folgenden Abschnitten zusammengefasst. Atmosphärenphysik Die Atmosphäre ist der Motor, der die Entwicklung des ozeanographischen Zustands der Nordsee wesentlich antreibt und steuert. Besonderheiten und Anomalien der at mosphärischen Zirkulation stehen vielfach am Anfang von Wirkungsketten, die sich über ozeanographische Zustandsvariablen, Verteilungsmuster von Schad- und Nähr stoffen bis hin zu biologischen Anomalien erstrecken. Ein einfaches Maß für die Stärke der (breitenparallelen) Zonalzirkulation im Nordatlan tik ist der Luftdruckunterschied zwischen den Azoren und Island. Zwar fällt der Luft