28 BSH Ozeanographischer Zustandsbericht Zeitabschnitt zu ziehen. Der beschriebene Zufallsprozess hat eine hypergeometrische Wahrscheinlichkeitsmassenverteilung mit Mittelwert 8 (d.h. 8 rote und 8 blaue Kugeln ist das wahrscheinlichste Ergebnis der Ziehung) und Varianz 2.06. Die tatsächliche Verteilung der Kugeln in Abb. 2-10 weicht hiervon signifikant ab. Die sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit von lediglich 0.6% ist ein starker Beleg für die Überzu fälligkeit (Nichtzufälligkeit) des Ergebnisses 12 warme und 4 kalte Jahre im Zeitraum 1987- 2002. (Die Lottofee hat offenbar nicht blind gezogen, sondern hat Launen oder Vorlieben und gemogelt.) Entsprechende monatliche Rang-Statistiken liefern für Februar, März, und April das gleiche Ergebnis wie für die Jahresmitteltemperaturen. Für die Monate September bis Januar (ohne Dezember) und Mai entfallen jeweils 11 der 16 Realisierungen auf den roten Bereich der Rangskala. Die Eintrittwahrscheinlichkeit von mindestens 11 roten Rängen beträgt 4%. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der gegenwärtigen Warmphase eine davon deutlich unterscheidbare Kaltphase vorausging. Im Beobachtungszeitraum lassen sich bei differen- zierterer Betrachtung drei solcher Phasen feststellen, nämlich 1971-1976 (Mittel: 10.1 °C), 1978-1987 (9.5 °C) und 1989-2001 (10.3 °C). Diese Phasen sind interessanterweise erstens durch sehr schroffe Übergänge voneinander getrennt und zweitens praktisch trendfrei. Insofern spiegelt ein linearer Trend von 0.9 °C über den Gesamtzeit von 35 Jahren eine gra duelle Erwärmung vor, die so nicht stattgefunden hat. Anwendung des T-Tests ergibt mit Irrtumswahrscheinlichkeit < 1%, dass die Temperaturen der Kaltphase einer anderen Grund gesamtheit entstammen als diejenigen der Warmphasen. Mit anderen Worten: signifikante Verschiebungen des Mittelwerts (Klammerwerte) sind mit Phasensprüngen um 1977 und 1988 assoziiert. Während die Warm- oder Kaltphasen selbst mit längeren Präferenzen der NAO für Schwingungen um positive bzw. negative Niveaus einherzugehen scheinen (vgl. Abschnitt 2.1.1), könnten die Phasenübergänge mit spontanen Änderungen solcher Vor lieben in Verbindung stehen (vgl. dazu Abb. 2-9). Interessanterweise trat der die Kaltperiode einleitende Phasensprung um 1977 zeitgleich mit der Annäherung der Great Salinity Ano- maly (Dickson et al. 1988) an den europäischen Kontinent auf. Um dem Regime-Charakter der Temperaturentwicklung Rechnung zu tragen (und damit eine Überbewertung der gegenwärtigen hohen Temperaturen zu vermeiden), erscheint eine Be wertung der Anomalien auf Basis einer gemischten (mindestens bimodalen) Wahrschein lichkeitsdichteverteilung angezeigt, die aus den quasistationären Temperaturregimes abzu leiten wäre. Bei der geplanten Umstellung der Klimatologie auf den Zeitraum 1971-2000 werden diese Überlegungen Berücksichtigung finden. Die Helgoländer Reihe dokumentiert die Temperaturentwicklung in der südöstlichen Nordsee über 130 Jahre (vgl. Abschnitt 3.2.2). Sie kann als Proxy für die mittlere Oberflächentempe ratur der Nordsee vor 1968 herangezogen werden, denn die Ähnlichkeit beider Zeitreihen im gemeinsamen Zeitbereich ist eklatant {Abb. 2-11). Die jüngste Warmphase, die 1989 ein setzte, ist demnach die längste und intensivste seit Beginn der Beobachtungen. Die Temperaturentwicklung zwischen 1920 und 1940 zeigt einen qualitativ ähnlichen Verlauf wie diejenige seit Ende der 1970er Jahre. Über die Frage, ob demnächst (wie in den Kriegsjahren) ein Übergang in eine neue Kaltphase stattfinden wird, lässt sich nur speku lieren. Dafür sprechen die jetzt schon ungewöhnliche Länge der gegenwärtigen Warmphase, Anzeichen für eine zunehmende Präferenz der NAO für ihren negativen Mode, sowie der seit der Nachkriegszeit aktive quasi-periodische Zyklus von 8 Jahren, der sein letztes Minimum 1996 erreichte. Anderseits ist es denkbar, dass ein nachhaltiger Regimeübergang von kritischen Parametern abhängt, die im gegenwärtigen Klima nicht mehr dauerhaft erreicht bzw. unter- oder überschritten werden können. Ein triviales Analogon ist der an die Meer wassergefriertemperatur gebundene Phasenübergang Eis-Wasser, dessen Eintrittswahr scheinlichkeit in der südlichen Ostsee in einem Global-Warming Szenarium drastisch redu ziert sein dürfte.