Hundertjahrfeier
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der Zelt entfernten sich jedoch die beiden Diszipli
nen voneinander. Das Interesse der Meteorologen wandte
sich den Prozessen in der freien Atmosphäre zu, wäh
rend die Ozeanographen ihre Meßgeräte in die Tiefen
des Meeres herabließen, um die Vorgänge dort unten
zu studieren. Die Meeresoberfläche und die an ihr
und durch sie hindurch wirksamen Reibungs- und Aus
tauschprozesse blieben weitgehend unbeachtet. An der
Deutschen Seewarte führte diese entgegengesetzte Ent
wicklung schließlich zur organisatorischen Trennung,
der Arbeitsbereiche Ozeanographie und maritime Meteo
rologie, wenn diese auch weiterhin zum gleichen
Institut gehörten. Nach dem Kriege wurde sodann die '
organisatorische Trennung vollständig vollzogen. Wir
haben jetzt zwei separate Institute. Das Seewetter
amt des Deutschen Wetterdienstes repräsentiert die
meteorologische Komponente der Deutschen Seewarte,
während wir die nautisch-ozeänographischen Bestand
teile der Deutschen Seewarte im Deutschen Hydrographi
schen Institut vereinigt finden mit weiteren, meist
hydrographischen Arbeitsgebieten, die führer von der
Marine wahrgenommen wurden.
In der Gegenwart erleben wir jedoch wieder eine
Tendenz zur Annäherung zwischen den beiden wissen
schaftlichen Disziplinen Ozeanographie und Meteorolo
gie. Man hat erkannt, daß die herkömmliche Betrach
tungsweise, die sowohl den Ozean als auch die Atmo
sphäre jeweils als ein abgeschlossenes System behan
delt, als eine überholte Form der Untersuchung ange
sehen werden muß. Wir wissen jetzt, daß die Wechsel
wirkungsprozesse zwischen den beiden Medien Luft und
Wasser eine bedeutende Rolle spielen können, wenn
auch ein quantitativer Nachweis für diesen Einfluß
bei verschiedenen Größenordnungen der Bewegung noch,
aussteht.
Im einzelnen ist die gegenwärtige Situation
recht bemerkenswert: Die Wechselwirkungseffekte im
Ozean beherrschen wir theoretisch schon recht gut in
den verschiedenen Größenordnungen der Bewegung. 'Wir
können berechnen, welche Prozesse im Ozean durch
atmosphärische Effekte kleinräumig oder auch in syn
optischer Größenordnung erzeugt werden. Was uns meist
fehlt, ist der experimentelle Nachweis, daß diese
Rechnungen zutreffen. Umgekehrt haben wir bisher noch
wenig Aufschluß darüber gewinnen können, wie stark
ozeanische Effekte die atmosphärischen Vorgänge beein
flussen. Wir wissen zwar, daß diese Wirkungen, insbe
sondere die aufwärts gerichteten Transporte fühlbarer
imd latenter Wärme, bei kleinräumigen Prozessen und
auch noch bei tropischen Wirbelstürmen relevant sind,
bei den Zyklonen und Antizyklonen der mittleren Brei
ten ist dieser Nachweis indessen noch nicht überzeu
gend gelungen. Auch wissen wir noch nicht, ob und
wenn ja wie die tieferen Schichten des Ozeans mit
langzeitlichen Entwicklungen in der Atmosphäre ge
koppelt sind.
Solange diese Dinge nicht hinreichend geklärt
sind, ist es schwierig, eine für die Meteorologie
und Ozeanographie gleichermaßen brauchbare, gemein
same Konzeption eines ozeanischen Meßnetzes, basie
rend auf dem Einsatz von Plattformen, Bojen, Schiffen
und Satelliten zu entwickeln. Einerseits fordern die
enormen Kosten, die mit der Errichtung eines solchen .
Meßnetzes verbunden sind, dringend ein Zusammengehen
beider Disziplinen. Andererseits sieht es zur Zeit
nicht so aus, daß sich die Anforderungen an solch
ein Meßsystem seitens Ozeanographie und Meteorologie
auf einen gemeinsamen Nenner werden bringen lassen,
wobei die Tatsache eine gewisse Rolle spielt, daß
wir über die Veränderlichkeit im Ozean noch zu wenig
wissen.
Die Tendenz zur Annäherung, zur gegenseitigen
Befruchtung, die ich soeben mit Bezug auf die beiden
Disziplinen Meteorologie und Ozeanographie geschil
dert habe, zeigt sich übrigens ganz allgemein im
weiten Bereich der Geowissenschaften, insbesondere
soweit sie sich mit dem Meere beschäftigen. Erdmag-
netik und Aeronomie sind eng miteinander verknüpft,
andererseits geben Erdmagnetik und Gravimetrie wich
tige Aufschlüsse bei morphologischen und geologischen
Studien des Meeresbodens sowie hinsichtlich der Struk
tur des tieferen Untergrundes. Physikalische und che
mische Ozeanographie sind untrennbar verbunden und
von ständig wachsender Bedeutung für die marine Geo
logie und Biologie. Diese enge Koppelung zwischen
den marinen Wissenschaften zeigt sich nirgends deut
licher als auf den Fahrten unseres Forschungsschiffes
"Meteor", das über Arbeitsmoglichlcsiten für alle die
se Disziplinen verfügt. Jede Fahrt wird für zahl
reiche verschiedene Forschungsaufgaben genutzt. Da
durch ergibt sich ein fruchtbarer Gedankenaustausch
zwischen den beteiligten Disziplinen wie auch ein
enger menschlicher Kontakt zwischen den eingeschiff-
ten Wissenschaftlern.
Angesichts der vielen ungelösten Probleme ist
es zu begrüßen, daß die heute beginnende Tagung den
Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre, der
Veränderlichkeit im Ozean und der marinen Geophysik
besondere Aufmerksamkeit schenken will. Sie kann da
durch einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Mee
resforschung leisten, die in Deutschland vor 100 Jah
ren durch die Seewarte in Hamburg in bescheidenem
Umfange begonnen wurde und die sich gegenwärtig auch
in Deutschland anschickt, als dritter großer For
schungsschwerpunkt neben die Raumfahrt und die Kern
forschung zu treten. Ich brauche in diesem Kreise
nicht die zahlreichen Gründe anzugeben, die für eine
verstärkte Förderung der Meere3forschung sprechen.
In der Vergangenheit, als die wirtschaftlichen Aspek
te der Meeresforschung noch nicht die heutige Bedeu
tung besaßen, hatte Deutschland auf diesem Gebiet
einige Leistungen aufzuweisen. In der Gegenwart be
mühen wir uns, den Rückstand, der inzwischen gegen
über den anderen maritimen Nationen eingetreten ist,
aufzuholen. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß
diese Bestrebungen die Unterstützung unserer Regie
rung gefunden haben. Der Herr Bund.esminister für
wissenschaftliche Forschung beabsichtigt, die Mee
resforschung verstärkt zu fördern, und auch der
Herr Bundeskanzler hat in seinem kürzlichen Bericht
über die Lage der Nation zum ersten Mal die Notwen
digkeit der Meeresforschung betont. Ich möchte hof
fen und wünschen, daß diesen Worten auch Taten fol
gen mögen!