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Full text: Jahresbericht 1968

Hundertjahrfeier 
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Prof.Dr.H.U.Roll: Die Deutsche Seewarte - historische und wissenschenfliche Aspekte. 
Wenn die deutschen Meteorologen und Geophysiker 
gemeinsam mit der American Meteorological Society 
und der Royal Meteorological Society in Hamburg eine 
Tagung aus Anlaß des 100. Jahrestages der Eröffnung 
der Norddeutschen Seewarte abhalten, dann ziemt es 
sich wohl, daß die besonderen Umstände dieses Jubi 
läums hier näher beleuchtet werden. 
Eine im wahren Sinne des Wortes ‘'merkwürdige" 
Eigenschaft unserer heutigen Veranstaltung ist, daß 
wir zwar ein Jubiläum haben, aber keinen Jubilar! Ich 
will damit sagen, daß die nautisch-wissenschaftliche 
Tätigkeit, die hier in Hamburg vor 100 Jahren begon 
nen wurde, in ununterbrochener Polge bis heute am 
gleichen Ort ausgeübt worden ist, daß aber das vor 
100 Jahren gegründete Institut, eben die erwähnte 
"Norddeutsche Seewarte", seit langem nicht mehr exi 
stiert, daß auch das Nachfolge-Institut, die berühmte 
"Deutsche Seewarte", vergangen ist und daß jetzt zwei 
neue Institutionen, das Deutsche Hydrographische In 
stitut und das Seewetteramt des Deutschen Wetterdien 
stes, die vor 100 Jahren begonnenen Arbeiten im Rah 
men anderer Aufgaben weiterführen. 
Wenn also hier von einer "Hundertjahrfeier" ge 
sprochen wird, dann muß völlig klar sein, daß es sich 
dabei nicht um ein Institut handelt, das unter dem 
gleichen Namen 100 Jahre lang in Hamburg gearbeitet 
hat, sondern um das Jubiläum einer meteorclogisch- 
ozeanographisch-geophysikalischen Tätigkeit, die hier 
im Interesse der Sicherheit und Ökonomie der Schiff 
fahrt vor 100 Jahren begonnen wurde und bis heute aus 
geübt wird. 
Welcher Art ist nun diese Tätigkeit, die in die 
sem Jahre 100 Jahre alt wird? Steht sie wirklich in 
so engem Zusammenhang mit den Disziplinen Meteorolo 
gie, Ozeanographie und Geophysik, daß dadurch die Ein 
berufung dieser Tagung gerechtfertigt wird? 
Um diese Frage beantworten zu können, muß ich 
mit wenigen Worten erklären, wie es zur Gründung der 
Norddeutschen Seewarte im Jahre 1868 kam. 
In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
erkannte der amerikanische Seeoffizier MATTHEW FON 
TAINE MA.URY, daß es durch systematische Zusammenfas 
sung und Auswertung der in den Journalen der Schiffe 
niedergelegten Naturbeobachtungen möglich ist, der 
Schiffahrt wichtige Hilfen zu geben, insbesondere 
Wind- und Strömungskarten zu entwerfen und Segelan 
weisungen zu verfassen, um die transozeanischen Rei 
sen zu sichern und abzukürzen. Diese 1841 von MAURY 
in den Vereinigten Staaten begründete Tätigkeit fand . 
bald Nachfolger in Frankreich, Holland und England, 
und auch in Deutschland wurde im Jahre 1865 durch 
den Erdmagnetiker und Nautiker GEORG NEUMAYER die 
Forderung erhoben, ein nautisch-meteorologisch-hydro 
graphisches Institut zur Förderung der sich rasch 
entwickelnden deutschen Seeschiffahrt einzurichten. 
Die starken Spannungen zwischen den deutschen Bundes 
staaten ließen jedoch noch keine staatliche Lösung 
zu. Da ergriff der Mathematiker und Naturwissenschaft 
ler WILHELM VON FREEDEN, derzeit Rektor der Großher- 
zoglich-Oldenburgischen Navigationsschule in Els 
fleth, die Initiative, überzeugte die Handelskammern 
in Bremen und Hamburg von der Notwendigkeit einer Ak 
tion und erbot sich, zunächst versuchsweise ein nau 
tisch-meteorologisches Institut in Hamburg mit finan 
zieller Unterstützung der beiden genannten Handels 
kammern einzurichten und zu betreiben. So kam es am 
1. Januar 1868 zur Eröffnung der "Norddeutschen See 
warte" Abt. für Seefahrt unter der Leitung von WIL 
HELM VON FREEDEN. 28 deutsche Reedereien erklärten 
sich bereit, das Unternehmen durch kostenlose Liefe 
rung von Beobachtungen und Messungen zu unterstützen. 
Das Bemerkenswerte an diesem Vorgang ist die 
Tatsache, daß es sich nicht um eine Gründung durch 
staatliche Aktion auf gesetzlicher Grundlage handel 
te, sondern um die rein private Initiative eines 
qualifizierten Staatsbürgers, unterstützt durch kauf 
männische Gremien und Reedereien, die natürlich den 
wirtschaftlichen Nutzen einer solchen Investition 
im Auge haben mußten. 
Die Norddeutsche Seewarte stellte sich die Auf 
gabe, zur Sicherung und Abkürzung der ozeanischen 
Seewege beizutragen, und zwar durch die Auswertung 
von zahlreichen Beobachtungen deutscher Schiffsoffi 
ziere über 
ozeanische Strömungen und Winde, 
Gezeiten, 
Mißweisung des Kompasses und 
meteorologische Erscheinungen. 
Auch die Verbesserung der nautischen Instrumen 
te an Bord sowie ihre Prüfung durch Vergleich mit 
Normalinstrumenten wurde in den Aufgabenbereich des 
Instituts einbezogen-. Das Ergebnis dieser Auswertun 
gen waren die bekannten Segelanweisungen, die sich 
als außerordentlich nützlich erwiesen haben. In den 
7 Jahren ihres Bestehens hat die "Norddeutsche See- 
warte" (die 1872 den Namen "Deutsche Seewarte" an 
nahm) 850 individuelle Segelanweisungen ausgegeben, 
deren Nachprüfung ergab, daß ein Gewinn von im Mittel 
6 Tagen pro Reise durch die Beratung erzielt worden 
ist. Damit hat dieses kleine, praktisch als Einmann- 
Betrieb gestartete -und später auch nur mit wenigen 
Assistenten ausgestattete Institut einen erheblichen 
volkswirtschaftlichen Nutzen erbracht. 
Diese historische Rückblende hat uns - so glaube 
ich - in die Lage versetzt, der geistigen Verbindung 
zwischen den Gedanken und Absichten, die bei der 
Gründung der Seewarte Pate gestanden haben und den 
Themen unserer heute beginnenden Tagung nachzuspüren. 
Die Norddeutsche Seewarte und - in noch stärkerem 
Maße - die 1875 als Reichsinstitut gegründete und 
durch ihr Wirken in aller Welt bekannte Deutsche See 
warte waren bemüht, die Sicherheit und Ökonomie der 
Seeschiffahrt durch Anwendung naturwissenschaftlicher 
Kenntnisse zu erhöhen. 
Eine solche Tätigkeit setzt streng genommen
	        
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