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kontinuierliche Aufzeichnungen des Wasserstandes vorhanden sind. Aus ihnen lassen sich die
Amplituden und Phasen für die einzelnen Teiltiden, die "harmonischen Konstanten", bestim
men. Das nonharmonische Verfahren setzt voraus, daß die Gezeiten des betreffenden Ortes
halbtägige Form haben, daß also im Laufe eines Tages (Mondtages) zwei Hoch- und zwei
Niedrigwasser eintreten. Die Abweichungen der einzelnen Hoch- und Niedrigwasserhöhen
von den mittleren Höhen zeigen einen ziemlich regelmäßigen Verlauf. Ebenso regelmäßig
weichen die einzelnen Hoch- und Niedrigwasserintervalle (das sind die Zeitunterschiede
zwischen einer Mondkulmination und dem unmittelbar folgenden Hoch- und Niedrigwasser)
von den mittleren Intervallen ab. Diese Ungleichheiten der Hoch- und Niedrigwasser in Höhe
und Zeit können in ihrer Abhängigkeit von folgenden astronomischen Größen aus hinreichend
langen Meßzeitreihen abgeleitet werden:
- der Zeit des Meridiandurchganges des Mondes,
- der Horizontalparallaxe des Mondes (als Maß seiner Entfernung),
- seiner Deklination beim Meridiandurchgang und
- dem Kalenderdatum zur Berücksichtigung der Sonnenentfernung und -deklination.
Die so erhaltenen Tafeln der Ungleichheiten und die Ephemeriden der angegebenen astrono
mischen Größen bilden die Grundlage der Vorausberechnung nach dem nonharmonischen
Verfahren [Kunze 77].
Offiziell wird das nonharmonische Verfahren zur Berechnung der Gezeiten (von halbtägi
ger Form) wie folgt definiert. Es ist ein Verfahren, bei dem man die Hoch- und Niedrig
wasserzeiten eines Ortes erhält, indem man zu den Meridiandurchgangszeiten des Mondes die
mittleren Hoch- und Niedrigwasser-Intervalle sowie die Ungleichheiten in Hoch- und
Niedrigwasserzeit hinzufügt, und die Hoch- und Niedrigwasserhöhen, indem man zu den
mittleren Hoch- und Niedrigwasserhöhen die Ungleichheiten in Hoch- und Niedrigwasserhöhe
hinzufügt. Die vier Ungleichheiten in Zeit und Höhe werden ihrerseits aus je einer halbmo
natlichen, parallaktischen, Deklinations- und täglichen Ungleichheit sowie gegebenenfalls
auch noch weiteren Verbesserungen zusammengesetzt [BSH 93].
Die Ungleichheiten werden harmonisch dargestellt. Die Länge der Meßzeitreihen beträgt
vorzugsweise 19 Jahre, um die Nodaltide mit zu berücksichtigen. Sie besitzt eine Periode von
18.6 Jahren und ist durch die Schwankung der Mondbahnneigung zum Äquator bedingt. Die
harmonische Methode wurde u.a. von Rauschelbach [Rauschelbach 24], Horn [Horn 41] und
Pansch [Pansch 88] weiterentwickelt. Horn hatte aber erkannt, daß mit den damals vorhande
nen technischen Hilfsmitteln eine Erhöhung der Genauigkeit der Gezeitenvorausberechnung
nach dem harmonischen Verfahren nicht zu erreichen war. So trieb er das nonharmonische
Verfahren voran (harmonische Darstellung der Ungleichheiten) [Annutsch 93]. Zum Ver
gleich: Für das harmonische Verfahren werden heute 220 harmonische Glieder verwendet,
während die harmonische Darstellung der Ungleichheiten für die gleiche Genauigkeit nur 40
Glieder benötigt. Das letztere Verfahren hat sich bis heute im Gebrauch erhalten, nicht nur
weil die Vorausberechnungen einfach und mit geringem Aufwand ausführbar sind, sondern
auch weil sie gerade in Seichtwassergebieten die harmonischen Vorausberechnungen noch
häufig an Genauigkeit übertreffen [Horn 48]. Alljährlich werden vom Gezeitendienst des
BSH Gezeitentafeln für Hoch- und Niedrigwasser für ein Jahr im voraus veröffentlicht, die
noch heute mit Hilfe des nonharmonischen Verfahrens erstellt werden [BSH 93].
Dieses Verfahren läßt sich nicht nur auf Hoch- und Niedrigwasser anwenden. Um stündli
che Werte zu erzeugen, werden die Zeiträume zwischen den Scheitelpunkten in sechs gleiche
Abschnitte zerlegt, die "quasistündliche" Werte auf die Minute genau liefern. Mit Hilfe eines
kubischen Splines werden sie auf stündliche Abstände hin interpoliert (Abb.2.1). Kubische
Splines sind spezielle Methoden dritter Ordnung, die Werte, die nur an bestimmten Stütz-