Kritische Nutzer-Erinnerungen
Die deutsche Wissenschaft erwartete von der Inbetriebnahme der METEOR, daß
die Meerresforschung in die Lage versetzt wird, Anschluß an das internationale Niveau
zu gewinnen. Da das bei der knappen Personaldecke nur erreichbar war, wenn sich die
Universitätsforschungskapazität mit der bei den Bundesministerien angesiedelten ange-
wandten Forschungskapazität wenigstens in den Zielen vereinigte, bot sich der gemein-
same Betrieb des Schiffes durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das
Deutsche Hydrographische Institut (DHI) an.
Neben den auf Forschungsschiffen unvermeidlichen Konflikten zwischen Einge-
schifften und der Besatzung, Fahrtleiter und Kapitän, Stationsforschern und Profilfor-
schern, mußten hier besondere Interessengegensätze aufgearbeitet werden, z. B. ZWI-
schen Nutzer und Reeder, Universitätswissenschaftler und Behördenwissenschaftler.
Das Schiff brachte Menschen oft über mehrere Monate zusammen, die nach Her-
kunft, Erfahrung, Bildungsgrad und Bildungsrichtung sehr unterschiedlich waren. Dabei
führten die menschlichen (hier überwiegend männlichen) Eigenschaften, die für sich
gesehen oft positiv sind, wie Leistungswille, Streben nach sozialer Anerkennung, Selbst-
behauptungswillen, Machtstreben, zu Konfliktsituationen zwischen Gruppen oder Perso-
nen.
In der Anfangsphase blickte mancher see-erfahrene Wissenschaftler auf Kollegen
herab, die zum ersten Male die Schiffsplanken unter den Füßen hatten; umgekehrt
zeigten diese. gelegentlich jenen ihre Überlegenheit in der Instrumentierung oder im
Grad der Automatisierung ihrer Geräte. Jüngere Wissenschaftler ließen zuweilen die
jüngeren Matrosen den Bildungsunterschied spüren; diese revanchierten sich durch über-
mäßige Härte („Sonderbehandlung“) bei Äquatortaufen und.ähnlichen Zeremonien.
Ein Ärgernis war jahrelang die Zahlung wesentlich geringerer Tagessätze an DHI-
Angehörige als an solche, deren Forschungen von der DFG finanziert wurden, was
manche Matrosen dazu veranlaßte, DHI-Fahrten als „Verlustfahrten“ zu bezeichnen,
weil hier der Großzügigkeit beim Feiern gelungener Einsätze Grenzen gesetzt waren.
Die Idealforderung an die Arbeiten mit diesem Schiff war die Interdisziplina-
rität der Forschung, d. h. Forschung verschiedener Disziplinen an einem gemeinsamen
Ziel. Darauf war auch die Anzahl der Wissenschaftlerplätze auf dem Schiff abgestellt.
Meist konnte gerade Multidisziplinarität erreicht werden, wobei häufig lediglich
ein Arbeitsgebiet (geographisch gesehen) oder eine Methodik (z. B. Profilfahrt, Ausfüh-
rung von Stationsarbeiten in einem Netz) gemeinsam waren. Als Beispiele für gelungene
Multidisziplinarität — trotz aller dadurch bedingten Schwierigkeiten — sind mir die
vierwöchigen Ankerstationen am Schnittpunkt des erdmagnetischen und des geographi-
schen Äquators 1965 und 1969 unter der Fahrtleitung des Meteorologen K. Brocks in
Erinnerung.
Später meldeten sich auch „Ökonomen“ zu Wort, die das Schiff als „nicht ausgela-
stet“ bezeichneteten, wenn nur ein Drittel der verfügbaren Plätze besetzt waren, obwohl
die Arbeiten „rund um die Uhr“ ausgeführt wurden. Sie übersahen, daß der Ausnut-
zungsgrad des Schiffes nicht allein von dem Grad der Besetzung der Kojen abhängt,
sondern auch von der Auslastung der eingeschifften Wissenschaftler, die dann geringer
war, wenn sich die Meßmethodiken verschiedener Disziplinen nicht vertrugen. weil sie
nicht zu gleicher Zeit eingesetzt werden konnten.
Bei den ersten Probefahrten der METEOR stellte sich bereits das Fehlen eines
Vermessungsoffiziers für viele Aufgaben, vor allem der Seegeophysik, als sehr nachteilig
heraus. Es mußte verschiedentlich extra ein Seevermessungsfachmann zusätzlich einge-
schifft werden. Dieses Defizit hatte, meine ich, zwei Gründe. Einerseits ist das Schiff
vorwiegend von Wissenschaftlern geplant worden, für die das Wasser die Hauptrolle
spielte, für die eine genaue Positionierung damals nicht vorrangig war (inzwischen hat
sich das mit dem Aufkommen der Langzeit-Verankerungssysteme erheblich geändert).
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