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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 59. Band, Nr. 1
I. Die Fehler der Zehntelschätzung.
Bei den Fehlern der Zehntelschätzung handelt es sich um eine Erscheinung, die gewöhnlich als Dezimal
gleichung (z. B. Bäckström [4]) oder Dezimaltäuschung (Schneider [5]) bezeichnet wird.
Bäckström untersuchte eingehend die Abhängigkeit der relativen und absoluten Schätzfehler von der Interval
länge. Hier kann es sich lediglich um eine Kenntnisnahme von diesen Abhängigkeiten handeln, da ja bei Feld
waagen die Intervallänge auf Grund langjähriger Erfahrung feststeht und durch die Eigenart der Beobachtungs
weise bedingt ist (die Forderung nach schneller Ablesemöglichkeit erfordert übersichtliche, klare Skalen, die auch
bei wenig günstiger Beleuchtung gut ablesbar sein müssen). Bäckströms Untersuchungen hatten folgendes Ergebnis:
1. Der relative Schätzfehler (—- = Fehler in Intervallängen) verläuft umgekehrt proportional der
Intervallänge.
2. Der absolute Schätzfehler (Al = Fehler in absolutem Maß) verläuft proportional der Intervallänge.
Nach 2. müßte also eine möglichst feine Skala gefordert werden. Jedoch hat die Feinheit der Skala ihre Grenzen
in den obengenannten Forderungen nach Übersichtlichkeit und leichter Ablesbarkeit. Bei den neuesten Instru
menten hat man im Gegensatz zu dieser Forderung noch die Intervallänge erhöht, was dann, wenn derselbe Skalen
wert beibehalten wird, nach 1. eine Verringerung der Schätzfehler mit sich bringt. Bei einem weiteren neuen
Instrument ist eine weitergehende Besserung dadurch geschaffen worden, daß der Skalenwert durch stärkere Fern
rohrvergrößerung auf 10y/pars herabgesetzt wird, womit eine weitere Verkleinerung der absoluten Schätzfehler
erzielt wird, da die Verkleinerung des Skalenwertes in derselben Weise wirkt, wie eine Verkleinerung des Intervalls.
Über die Größe der Schätzfehler und ihre Verteilung über das Intervall liegt eine Reihe von Arbeiten vor
(5, 6, 7, 8).
Schneider weist an Hand geeigneter Versuchsanordnungen und einer größeren Zahl von Versuchspersonen
die Größe der Schätzfehler und ihre Verteilung über das Intervall nach. Er findet, daß die Schätzungen in der Nähe
der Strichmarken am besten sind, nach der Mitte des Intervalls zu aber immer schwankender werden. So waren
bei seinen Versuchspersonen bei den Werten 0,3, 0,4, 0,6 und 0,7 Fehler bis zu 0,2 Intervallängen möglich. Der
mittlere Schätzfehler einer Einzelschätzung beträgt dagegen nach Schneider (5) und Bäckström (4) nur ± 0,03
pars bei einer Intervallänge von 1 mm.
Figur 1 zeigt die Ergebnisse von Schneider, Bauch und mir. Die Absisse zeigt die Zehntel an, während die
Ordinate angibt, wieviel von 1000 Schätzungen auf jedes Zehntel entfallen. Wenn der Beobachter genau ablesen
würde, wäre zu erwarten, daß jedes Zehntel gleich häufig, also lOOmal, vertreten ist. An Hand der Abweichungen
erkennt man die Güte der Schätzungen. Die Kurven III bis V (Figur 1) stammen von Feldwaagenbeobachtern.
Die Herren Prof. Errulat und Prof. Reich stellten mir dafür freundlicherweise Material zur Verfügung.
Auffallend ist die starke Anhäufung bei 0,0 des Beobachters V. Dieser Fall steht nicht allein da. Meine
eigenen Beobachtungsreihen aus den Jahren 1932—1936 weisen dieselbe Eigenart auf (Figur 2, I—II). Da in
beiden Fällen auch die Mitte stark gemieden ist, liegt eine auffallend große Abrundungstendenz vor.
Die Schätzungen der Feldwaagenbeobachter sind durchweg schlechter als die Schätzungen von Schneider
und Bauch. Diese Tatsache ist aus den verschiedenen Beobachtungsbedingungen zu erklären. So hatten z. B. die
Versuchspersonen Schneiders einen ruhenden Indexstrich zu beobachten. Ferner waren die Beleuchtungsverhältnisse
sehr günstig. Der Feldwaagenbeobachter dagegen hat einen schwingenden Indexstrich bis zur Erreichung der
Ruhelage zu beobachten. Dadurch wird das Auge bereits vor der Schätzung ermüdet. Ferner ist die Beleuchtung
der Skala bei den älteren Waagen nicht sehr günstig und die Haltung des Beobachters ist keineswegs als bequem
zu bezeichnen. Windeinflüsse verhindern oft, daß der Indexstrich zur vollständigen Ruhe gelangt. Schließlich ist
die Ablesegeschwindigkeit noch von ausschlaggebender Bedeutung.
Interessant ist ein Vergleich meiner Schätzungen aus verschiedenen Jahren untereinander. Aus den Jahren
1932—1936 wählte ich zwei sich stark unterscheidende Heihen aus (Figur 2, I bis II). Alle übrigen Reihen dieses