Seilkopf, H.: Mittelräumige atmosphärische Strömungstypen.
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raum schafft. Beim Umströmen von Hindernissen mit kantigen Grundrißprofilen
(Steilküsten mit vorspringenden Kaps) können sich im Falle abreißender Außen-
strömung Seitenwirbel mit aufrechten Achsen ablösen.
Für die aerodynamisch grundlegende Frage der Wirbelbildung und für die
Grenzschichtlehre hat der Versuch von L. Prandtl, durch Absaugen der Grenz-
schicht die Verwirbelung zu verhindern, geradezu klassische Bedeutung gewonnen:
Wird auf der Leeseite eines Strömungshindernisses, z. B. eines Zylinders oder an
den Wänden eines Kanals das gebremste Grenzschichtmaterial in Richtung der
Außenströmung beschleunigt oder überhaupt abgesaugt, so bilden sich keine
Wirbel, und die Stromlinien der Außenströmung schmiegen sich dem Profil der
begrenzenden Fläche des Hindernisses oder des Kanals an. Der Nachweis eines
entsprechenden Vorganges wäre für die Frage der meteorologischen Grenz-
schicht wichtig.
Eine atmosphärische Strömung ist wirbelfrei und folgt mit ihren Strom-
linien dem Profile der Leeseite: die Föhnströmung. Auf den grundsätzlichen
Unterschied im Stromlinienverlauf zwischen nordwestlichen und südlichen Winden
in den Ostalpen hat H. von Ficker!) auf Grund seiner Beobachtungen im Frei-
ballon hingewiesen, Bei NW-Winden zeigt sich in Lee der Zentralalpenkette
häufig starke Wirbelbildung, während die südliche Föhnströmung im großen und
ganzen wirbelfrei ist. Für die Leewirbel bei NW-Strömung gibt von Ficker
anschauliche Beispiele. So beschrieb am 18. Juli 1912 der Ballon zwei geschlossene
vertikale Doppelschleifen und konnte erst durch Ballastabgabe in die ungestörte
Höhenströmung zurückgebracht werden, Der vertikale Durchmesser des Wirbels
betrug etwa 150 m, der horizontale etwa 800 m, die Zirkulationsgeschwindigkeit
etwa 8 m/sec. In einem anderen Falle, am 8. September 1911, wurde der Ballon
wiederholt unter heftigsten Schwankungen, bei denen er einmal fast big zur
Korbhöhe herabgedrückt wurde, in den ab- und aufsteigenden Wirbelästen her-
anter- und heraufgerissen. Für die südliche Föhnströmung fand dagegen
von Ficker die Wirbelfreiheit charakteristisch; sie wies nie Luv- und Leewirbel
auf, wenn auch Windstöße und die Bewegung von Papierschnitzeln „Turbulenz“
anzeigten. Die Wirbelfreiheit der Föhnströmung erklärt von Ficker durch das
Abfließen der Kaltluft aus den Tälern vor dem Föhndurchbruch, durch das die
Stromlinien der Höhenströmung in das Tal herabgesaugt werden.
Auf die Mitwirkung der Grenzschicht bei diesen Vorgängen konnte bei der
Bearbeitung des Föhnsturmes vom 4. Juli 1926 am Baikalsee hingewiesen werden?5).
Vor dem Sturm lag über dem größtenteils von bis zu 1500 m hohen Gebirgen
eingekesselten Baikalsee ein Kaltluftkissen mit Temperaturen von 10 bis 15°,
während die weitere Umgebung in größerer Entfernung vom See mehr als 30°
aufwies. Auf der Vorderseite eines Tiefausläufers bildete sich über See ein
Druckgefälle aus, das die Kaltluft durch das Bargusin- und Selenga-Tal nach
NE und E abfließen ließ. Das Abströmen der Kaltluft erfolgte über dem Wasser-
spiegel infolge der geringeren Reibung wesentlich schneller als über dem Ufer.
Mit dem Abwandern des unteren Kaltluftkissens über dem See wurde für die an
den bergigen, unregelmäßig gestalteten und teilweise mit Wald bestockten Ufer-
nängen mit größerer Zähigkeit haftende Kaltluftschicht neben dem Druckgefälle
die Schwere wirksam: durch das Fortströmen der Kaltluftmassen über dem See
wurde die an den Hängen haftende kalte Grenzschicht abgesaugt. Nach dem
Absaugen dieser Schicht kam rasch Weststurm auf, der bei der adiabatischen
Erwärmung der absinkenden Luftmassen raschen Temperaturanstieg brachte; in
Pestschanaja Buchta stieg die Temperatur innerhalb einer halben Stunde von
17,5° auf 29% Der Weststurm fiel mit starker vertikaler Komponente ein, denn
bereits in ganz geringer Entfernung vom Ufer peitschten die einfallenden Böen
hohe Gischtfahnen auf. Man hatte den Eindruck, als ob Stromlinienbündel in
steilem Winkel geschoßartig auf das Wasser prallten; die schmalen, langen
Gischtfahnen, die überall vom Ufer aus mit Windgeschwindigkeiten von 25 bis
30 m/sec auf den See hinauswanderten, gaben ein charakteristisches, eindrucks-
4) H. von Ficker, Tät.-Ber. Pr. Met, Just. 1924, 8, 31. — 2%) H, Seilkopf, Archiv d. Dtsch,
Seewarte 1927, 8. 31.