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Full text: 16, 1888

64 Die Schwankungen des Wasserstandes in ihrer Beziehung zur Witterung. 
und ein genetischer Zusammenhang beider Erscheinungen nicht von der Hand 
zu weisen. Selbst die Intensität der verschiedenen Schwankungen ist am Meer 
und an den Flüssen gleich: eine geringere Schwankung in der ersten Hälfte 
des Jahrhunderts (Swinemünde), eine ausgeprägtere in den 60er und 70er 
Jahren. 
Es ist nun zu entscheiden, ob beide Erscheinungen sich auf eine gemein- 
same Ursache zurückführen, oder eine die Ursache der anderen ist. Als 
gemeinsame Ursache könnte vielleicht der Wind angesehen werden. Von den 
Winden hängen in hohem Grade die Niederschläge ab, welche die Flüsse speisen 
und ihre Wasserführung regeln; eine Verstärkung der regenbringenden Luft- 
strömungen mul daher nothwendig die Wassermasse der Flüsse vergrößern, 
deren Wasserstand heben. Andererseits vermögen ohne, Zweifel die Winde 
durch Vergröfserung oder Verminderung des Abflusses aus der Ostsee in die 
Nordsee auf den Wasserstand der ersteren einzuwirken. Gerade die regen- 
bringenden Winde, die Westwinde, sind es nun aber auch, welche das Ostsee- 
wasser zurückstauen, während die trockenen kontinentalen Winde die Wasser- 
abfuhr durch die Belte und den Sund begünstigen. So wäre es denkbar und 
möglich, Schwankungen der Windverhältnisse indirekt für die Schwankungen 
des Wasserstandes der Flüsse und direkt für die Schwankungen des Ostsee- 
spiegels verantwortlich zu machen. Allein ein Vergleich der Zahlen und Kurven 
für die einzelnen Flufs- und Meeresstationen belehrt uns eines Besseren. Ks 
schliefst sich die Bewegung des Wasserstandes eines Meerestheiles im Einzelnen 
enger der Bewegung des Wasserstandes der nächst benachbarten grofsen Ströme 
an, als derjenigen entfernter Theile der Ostsee. Dieses zeigt z. B. die folgende 
Tabelle. Neufahrwasser ist gegenüber den beiden ihm nächst benachbarten 
Pegelstationen Memel im Osten und Stolpmünde im Westen durch eine Ver- 
spätung seines ersten Maximums und Minimums ausgezeichnet; es folgt der 
Ostseepegel zu Neufahrwasser darin durchaus dem Weichselpegel zu Kurzbracke.!) 
1846/50 51/55 56/60 61/65 66/70 71/75 
Memel mm +19 +11 —20* —17 4-28 —19 
Stolpmünde mm +25 —5 —30* —23 +46 —11 
Neufahrwasser mm — 4 +23 +2 —23* +16 —15 
Weichsel mm 187 231 140 94* 152 168 
Hierdurch wird die direkte Abhängigkeit des Wasserstandes der Ostsee 
von der Wasserführung der Flüsse, nicht aber von den in ihren Aenderungen 
80 äufserst schwer zu verfolgenden Windverhältaissen dargethan. 
Die säkularen Schwankungen des Wasserspiegels des Kaspischen Meeres, 
der Ostsee und des Schwarzen Meeres, wie wir, gestützt auf die Ueberein- 
stimmung in der Bewegung des Regenfalls und des Pontusspiegels in den 
Jahren 1874 bis 1882,’) hinzuzufügen uns für berechtigt halten, führen sich auf 
Schwankungen in der Wasserzufuhr der Flüsse zurück; die KErkenntinifs der 
letzteren lälst uns unbedingt auf säkulare Schwankungen der Niederschlags- 
verhältnisse schliefsen -— auf säkulare Schwankungen des Klimas. Analoge 
Schwankungen des Niederschlages und gleichzeitige der Temperatur hat für die 
Alpen Lang in seiner für die Erklärung der Gröfsenänderungen der Gletscher 
so hoch wichtigen Abhandlung nachgewiesep.?) Es kann kein Zufall sein, dafs 
jene Schwankungen der Witterung, auf welche wir durch die Pegelbeobachtungen 
an Meeren und Flüssen geführt wurden, sich zeitlich. absolut mit den von 
Lang für die Alpen festgestellten decken. 
Ueberblicken wir das Gebiet, für welches die Klimaschwankung erwiesen 
ist (vgl. Figur 2): es gehört demselben an das Einzugsgebiet des Kaspischen 
Meeres, dasjenige des Schwarzen Meeres,*) der Ostsee, der Nordsee, ferner das 
Seinebecken und die Alpen nebst dem Pogebiet, d. h. nahezu das gesammte 
Europa. Wir müssen nunmehr sagen: fast ganz Europa erlebt gleich- 
zeitige und gleichsinnige Klimaschwankungen, 
1) Noch viel schärfer zeigt sich dieses hei einem Vergleich der Bewegung des Ostseespiegels 
an der schwedischen und an der deutschen Küste, 
2) v. Maydella. a. O. 
3) Zeitschrift für Meteorologie, 1885, S. 443 (433). 
Y Donau, Regenfall (Südrussland),
	        
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