Die Schwankungen des Wasserstandes in ihrer Beziehung zur Witterung.
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Säkulare Schwankungen des Wasserstandes,
Selten gelangt nach Verlauf eines Jahres der Wasserspiegel eines Seos
wieder auf denselben Stand zurück, den er vor Jahresfrist inne hatte; selten
halten sich im Laüfe eines Jahres Zufuhr und Abfuhr absolut genau das Gleich-
gewicht. In der Regel überwiegt in der Jahressumme einer der beiden auf den
Wasserstand wirkenden Faktoren; dementsprechend steigt der Wasserstand
oder er sinkt: ’es ändert sich der mittlere Wasserstand von Jahr zu Jahr, und
diese Aenderung an den drei Meeren zu verfolgen, ist nunmehr unsere Aufgabe.
Es ist ganz natürlich, daß in oinem abflulslosen Becken, wie es das
Kaspische Meer ist, in dem die Zufuhr von Wasser nur durch den Regen und
die Flüsse und die Abfuhr nur durch Verdunstung erfolgt, die Schwankungen
des Mittelwassers von Jahr zu Jahr bedeutende Beträge erreichen. Diese
Schwankungen sind um so gröfser, als in der Regel die Witterung Zufuhr und
Abfuhr in entgegengesetztem Sinne beeinflufst: regenreiche Jahre, welcbe eine
Vergröfserung der Wasserzufuhr im Gefolge haben, pflegen kühl und daher der
Verdunstung, d. h. der Wasserabfuhr, ungünstig zu sein,
Es zeigt sich nun, dafs diese Schwankungen im Kaspischen‘ Meer sich
keineswegs im Laufe weniger Jahre ausgleichen, sondern vielmehr, dafs sich
gewisse grofse Bewegungen des Wasserspiegels in längeren Zeiträumen voll-
ziehen. Nehmen wir die Lustrenmittel der von Filipof‘) publicirten Pegel-
beobachtungen zu Baku und Aschur-Ade, nachdem wir dieselben auf einen
einheitlichen Nullpunkt bezogen haben, so lehren uns dieselben, dafs 1851 bis
1865 das Niveau des Kaspischen Meeres ein niedriges war, und dafs von 1866
an. der Wasserspiegel fortwährend — im Ganzen um: etwa °/am — gestiegen
ist. Dieses Steigen des Wassers tritt an beiden Stationen in gleicher Klarheit
hervor und mufs als absolut sichere: Thatsache betrachtet werden. Die
Uebereinstimmung beider Stationen widerlegt im Voraus die Annahme, es sei
jene Schwankung durch Bodenbewegungen veranlasst, wie man sie gerade für
das naphthareiche Baku anzunehmen geneigt sein könnte, Ich gebe hier das
Mittel aus beiden Beobachtungsreihen wieder, welches auch weiter unten auf
Fig. 2 S. 65 im Mafsstab 1:100 graphisch dargestellt ist.
Kaspisches Meer,
1851/55 56/60 61/65 66/70 71/75 176/78
em —921 —26 —19 -+19 +16- +56
Zu kurz sind die Beobachtungen, um ähnliche langdauernde Bewegungen
des Pontusspiegels erkennen zu lassen. Die Aufzeichnungen aus den Jahren
1874 bis 1882?) lehren jedoch, dafs das Mittelwasser von Jahr zu Jahr seinen
Stand ändert und innerhalb dieses Zeitraumes eine Schwankung bis zu 36 cm
aufwies. Fassen wir dio Bewegung in ihren Grundzügen ins Auge, so erkennen
wir auch hier ein Ansteigen des Wasserspiegels gegon 1880 hin, entsprechend
der Bewegung des Kaspischen Meeres,
Auch an der Ostsee treten anhaltende Schwankungen des Wasserstandes
in den Lustrenmitteln zu Tage, deren Amplitude zwar nicht nach Decimetern
zählt, wie am Kaspischen Meere und dem Pontus, wohl aber nach Centimetern.
Sie sind zu scharf ausgesprochen und treten zu allgemein auf, als dafs sie sich
etwa durch Beobachtungsfehler, Aenderungen der Pegel ctc. erklären liefsen.
Um diese Schwankungen zu verfolgen, berechnete ich für 10 deutsche
Stationen, und zwar, von Ost nach West geordnet, für Memel, Neufahrwasser
bei Danzig, Stolpmünde, Colbergermünde, Swinemünde, Wiek bei Greifswald,
Stralsund, Warnemünde, Wismar und Travemünde Lustrenmittel des Wasser-
standes, die ich ohne alle Ausgleichung in der nachfolgenden Tabelle nieder-
lege; Figur 1 stellt dieselben in 1:10 der Natur graphisch dar.
) a, a. O0. .
5 v. Maydell a. a. 0.