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„Da nun aber während des Sturmes vom 13. November 1872 die hori
zontalen Niveau-Kurven an der Oberfläche des Meeres die Windrichtung senk
recht zu schneiden strebten, da, wo die ursprünglichen, treibenden Kräfte,
welche das Gleichgewicht des Meerwassers gestört hatten, die allein vorherrschen
den waren, wie aus den angezogenen acht Karten folgt, so ergiebt sich für
jeden Punkt des Meeres, dafs die Resultante der wirksamen Kräfte, welche die
Ueberschwemmung vom 13. November veranlafst haben, genau dieselbe Riehtung
als der Wind besafe. Es kann hiernach kein Zweifel darüber obwalten, dafs
die Einwirkung des Sturmes auf die Oberfläche des Meeres allein die Ueber
schwemmung hervorgebracht hat. Dieser Sehlufs wird aber erst dann als
korrekt anzusehen sein, wenn bewiesen werden kann, dafs die Kraft, welche
die ganze Reihe von Erhebungen des Meeres hervor gebracht hat, nicht nur
dieselbe Richtung als der Wind hatte, sondern auch, dieselbe Stärke.“
In der oben (pag. 1) erwähnten Abhandlung „Ueber die Einwirkung des
Windes auf die Meeresströmungen“ hat Prof. Colding Formeln gegeben, welche
sieh ebenfalls auf diejenigen Strömungen anwenden lassen, die nicht allein
durch die Schwere, sondern durch diese in Verbindung mit dem Winde hervor
gebracht wurden.
Wenn mau nun mit Hülfe dieser Formeln, welche für alle Punkte der
in Betracht kommenden Küste gültig sind, wo die Niveau-Kurven des Meeres
senkrecht zur Windrichtung liegen, und wo infolge dessen da3 Wasser nicht
seitlich abfliefsen kann, die Höhe berechnet, bis zu welcher der Wind, gemäfs
seiner Kraft und der Tiefe des Wassers, die Oberfläche des Meeres erheben
kann, so findet man, dafs überall diese Höhe so nahe mit der wirklich beob
achteten zusamm en fällt, dafs die Differenz sicherlich nur auf Beobachtungs
fehler zurückzuführen ist. Diese bemerkenswerthe Uebereinstimmung der aus
der Stärke des Windes berechneten Erhebung des Meeres und der während
des Sturmes vom 13. November 1872 beobachteten ist ein deutlicher Beweis,
dafs als einzige Ursache für die Ueberschwemmung vom 13. November der
Sturm und die von ihm eingeschlagene Bahn anzusehen ist.“ 1 )
Schliefslich hat Prof. Colding nach den in der erwähnten Abhandlung
entwickelten Formeln eine Reihe von Profilen der Wasserstände von der einen
Küste zur anderen entworfen, welche das während des Sturmes in der Zwischen
zeit von einer Beobachtungszeit zur anderen stattgefundene Steigen und Fallen
des Wassers zeigen.
„Vermittelst dieser Formeln kann man einerseits die Wassermenge be
rechnen, welche in einem gegebenen Zeitpunkte in das Kattegat durch den Sund,
den Großen und den Kleinen Belt ausflieist, und andererseits, indem man zu
gleicher Zeit bestimmt, um wieviel sich das Meeresniveau von einem Zeitmoment
zum anderen über eine Fläche von bekannter Gröfse erhebt, diejenige Wasser
menge herleiten, welche innerhalb des betreffenden Zeitraums von Sekunde zu
Sekunde sieh unterhalb des aufsteigenden Niveaus im Sund und den Belten
anhäuft.“
Bei Ausführung dieser Untersuchungen für die Zeit des Sturmes und die
Ueberschwemmung vom 12. zum 14. November 1872 bat Colding schliefslich
gefunden, dafs für alle Stellen, von welchen er Aufzeichnungen des Wasser -
Standes erhalten hat, die Berechnung der Wasserbewegung mit der Beobachtung
vollständig in Uebereinstimmung ist.
J ) Die abnorme Höhe der Sturmfluth dürfte aufserdem noch veranlafst worden sein von der
kurz vor ihr mit starken SW-Sturmen (vom 1. bis 9. November) erfolgten Einströmung des Wassers
aus der Nordsee durch den Sund etc. in die Ostsee, welche das Wasser in der letzteren nach Osten
hin aufstante und das Niveau derselben erhöhte. Die durch den Oststurm erzeugte Küekströmung
mufste deshalb um so mächtigere Wasserntassen nach den südlichen und westlichen Küsten der Ostsee
zurückführen und an diesen höhere Wasserstände hervorbringen.
Geh. Baurath Bänsch theilt in der oben (pag. 2) erwähnten Abhandlung (pag. 21) die
hohe Entwickelung der enormen Wasseranschwellung auf der Westseite des Ostseebeckens in drei
Zeitabschnitte: 1) vom Bl. Oktober bis 9. November 1872: Füllung der Ostsee mit Nordseewasser
und Abschliefsung der Vorfluth; 2) vom 9. bis 12. November Abends: Ausschwjngung des Ostsee
wassers bei überfülltem Becken nach Westen; 3) atu 13. November: Einwirkung des Nordost-Orkans
auf den westlichen Theil der Ostsee, dessen Niveau bereits durch die frühere Einführung von Nord
seewasser eine bedeutende Höhe erreicht hatte. A. d. Ref,