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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 63. Band Nr, 2
Demgegenüber stehen die ungeschützten oder unreifen Watten, jene aus riesigen Sand-
Platen aufgebauten hohen Sandflächen, wie sie vor allem vor der nordhannoverschen und dith-
marsischen Küste angetroffen werden. Denkt man über den Unterschied zwischen geschützten und
ungeschützten Watten nach, so liegt zunächst die Vermutung nahe, daß die Ursache für das Feh
len vorgelagerter Inselreihen mit den Mündungen von Weser, Elbe und Eider zusammenhinge. Dem
widerspricht aber einmal der Umstand, daß sich Inseln wie Neuwerk und Tertius bilden konnten,
zum anderen die Beobachtung, daß die Sandwanderung vom Südwesten her die Mündungen der
Weser und Elbe quert.
Der grundlegende Unterschied zwischen ausgereiftem und unreifem Watt bzw. Küstengebiet
kommt auch in der Oberflächengestalt des vorgelagerten, zum Nordseeboden überleitenden Abfalls
zum Ausdruck. Der einem reifen Küstenbogen unmittelbar vorgelagerte Meeresboden ist Sand
wandergebiet. Er weist infolgedessen ausgeglichene Formen auf. Wir wiesen früher (G r i p p 1937
S. 38) auf den über 100 km langen, so auffallend ruhig gestalteten, bei 7 km Breite um 20 m ab
fallenden Hang vor den ostfriesischen Inseln hin (siehe hierzu W. Krüger’ s Karte der frie
sischen Küste). Abrasion und Aufschüttung von Wandersand haben diesen so auffallend ruhig
gestalteten Übergang von Land zu Nordseeboden entstehen lassen.
Ganz anders ist der Küstenabfall vor dem unreifen Watt gestaltet. Die gleichen Isobathen
(5—17 m), die vor der ostfriesischen Küste dieser parallel dahinziehen, verlaufen hier überwie
gend senkrecht zur Küste. Dies zeigt W. Krüger’s Karte der ostfriesischen Küste für das Gebiet
zwischen Weser und Elbe und den südlichen Teil des Dithmarscher Wattes; ein gleiches lassen die
Admiralitätskarten für dieses und das zwischen Elbe und Amrum gelegene Gebiet erkennen.
Hier fehlt die von einem Küstenvorsprung’ oder einer Nehrungsinselreihe geleitete seitliche
Strömung. Infolgedessen treten dicht nebeneinander die senkrecht zur Küste verlaufenden Ein- und
Ausströmungsrinnen der Tidewässer auf.
Die vorstehenden Darlegungen über die Entstehung von Watten als vorauseilende Auffüllung
von Haffen lassen es als zutreffend erscheinen, in den ungeschützten Watten noch unvollendete
Teile eines künftigen Tidehaffs zu sehen. Danach wäre zu erwarten, daß die Sandanhäufung in den
ungeschützten Watten noch nicht abgeschlossen ist. In der Tat zeigt ein Vergleich der Seekarten
eine beträchtliche Anhäufung von Sand. Vergleicht man die Admiralitätskarte von 1887 mit der
von 1932, so ergibt sich z. B. für das Westende des Großen Vogelsandes (Elbmündung), daß in
jenen 45 Jahren
die 2 m Tiefenlinie um 1,8 km
die 10 m Tiefenlinie um 2,7 km
gegen Westen vorgerückt sind 8 ).
Bei den Sandmassen westlich der Bank Tertius haben sich auf der Linie des 54° 10’
die 4 m Tiefenlinie um 4,3 km
die 6 m Tiefenlinie um 2,3 km
die 10 m Tiefenlinie um 1,4 km
gegen Westen verlagert.
Ebenso läßt sich feststellen, daß sich an der Westkante des Neuwerker Watts zwischen 1887
und 1932
die 0 m Linie (Robbenplate) um 2,5 km
die 4 m Tiefenlinie um 1,2 km
die 6 m Tiefenlinie um 1,7 km
gegen Westen vorgeschoben hat 7 ).
') Man vergleiche hierzu W. Hemeu 1940 Abb. 48, wo ein Vergleich des Zustandes von 1876 und 1930 gegeben wird.
’) Abb. 65 in W. Hemen 1940 bezeugt für die Jahre 1905, 1925 und 1935 ein Vorrücken der 0 und 2m Tiefenlinie
gegen Westen.