Hans Waiden: Über eine Sturmdepression im Tyrrhenischen Meer
7
GenuaiZyklonen.
H. v. Ficker 1 und B. Schröder 2 haben nachgewiesen, daß die Bildung von Depressionen im Mittelmeer
im italienischen Seebereich südlich der Alpen gekoppelt sein kann mit dem Erscheinen eines Tiefs über der
Nordsee, und daß allgemein Zufuhr von Kaltluft gegen die Alpen Depressionen über dem italienisdien Bereich
entstehen läßt. Es wird dort gezeigt: Über ganz Mitteleuropa — über die Alpen nach Süden herüberreichend —
laufen in West-Ost-Richtung „primäre Druckwellen“; die damit gekoppelte „sekundäre Druckwelle“, aus nörd
lichen Richtungen heranströmende Kaltluft, die den primären Druckfall teilweise kompensiert, wird an den
Alpen gestoppt, weshalb sich Gebiete verhältnismäßig tiefen Drucks südlich der Alpen bilden müssen. Gleich
zeitig strömt Kaltluft durch das Rhönetal südwärts und führt die zur weiteren Vertiefung einer Zyklone im
Golf von Genua notwendige Energie zu. Diese Depressionen wandern in verschiedenen Richtungen ab.
Die meisten Tiefdruckgebiete dieser Art bilden sich im Golf von Genua, und die Stärke der entstehenden
Druckgradienten ist erfahrungsgemäß abhängig von der Heftigkeit des Kaltlufteinbruchs, d. h. abhängig vom
Temperaturfall und von der Zeit, während der die Zufuhr von kalter Luft anhält. Starke Genua-Zyklonen
werden deshalb dann entstehen, wenn ein kräftiges Tief im Bereich der Nordsee auffüllt, weil dann die Kalt
luftzufuhr heftig und anhaltend ist, und die primäre Druckwelle sich gleichzeitig nur sehr langsam oder über
haupt nicht mehr einheitlich nach Osten bewegen dürfte. — Aber es wäre interessant und von unschätzbarer
Bedeutung für die praktische Wettervorhersage, zu klären, warum und unter welchen Umständen die Zyklonen
beim Verlassen des Golfs von Genua die verschiedensten Wege einschlagen.
Nicht alle Depressionen dieser Art bilden sich nördlich von Korsika aus, und im folgenden soll zunächst
ein Fall untersucht werden, in dem sich eine kräftige Zyklone im Tyrrhenischen Meer ausbildet und dort hödrst
bemerkenswerte Witterungserscheinungen zur Folge hat. Das zu besprechende Tief hält sich unter andauern
der Vertiefung etwa zwei Tage lang im Tyrrhenischen Meer auf, um schließlidr rasch in der Nähe der Straße
von Messina ins Ionische Meer abzuziehen. Zu dieser Zeit flaute in Gaeta innerhalb weniger Stunden der
Wind von etwa Stärke 10 auf 3 bis 2 ab; am nächsten Morgen (12. April) war es fast windstill, während am
10. April nachmittags und am ganzen Tag des 11. April voller Sturm aus Nordost geweht hatte.
Entstehung und Verlagerung
einer Depression über dem Tyrrhenischen Meer im April 1938.
a) Die Groß-Wetierlage vom 5. bis 8. April morgens.
Es empfiehlt sich, bei der Betrachtung der Wetterlage möglichst weit zurückzugreifen. Denn es handelt
sich in unserem Falle nicht um die Annäherung und den Vorbeizug einer Depression über England und
der Nordsee mit nachfolgendem Kaltlufteinbruch auf der Rückseite.
Am 5. April, 8 Uhr, liegt zwischen Irland und den Azoren ein Hoch von über 1030 mb, dessen Keil mit
1025 mb bis nach Ungarn reicht. Auf der Nordseite dieses Hochdrucksystems strömt meist milde Luft über
Nord- und Ostsee nach Osten. Ein kräftiges Tief (970 mb) liegt mit seinem Kern über dem Weißen Meer und
zieht nordostwärts ab, wobei kontinentale Kaltluft über Finnland und einen Teil von Skandinavien südost-
wärts geführt wird.
Die absolute Topographie der 500-mb-Fläche enthält hohen Druck südwestlich von England, tiefen
Druck über Nordost-Europa, so daß nordwestliche Luftströmung in etwa 5000 m Höhe im Bereich zwischen
Irland und Skandinavien herrscht. Im wesentlichen bleibt diese Druckverteilung in der Höhe bis zum 8. April
erhalten.
Die Wetterkarte vom 6. April, 8 LJhr, zeigt eine Randstörung über Südschweden, auf deren Rückseite
maritime Kaltluft über Südskandinavien nach Süden und Südosten strömt.
Solange tiefer Druck über Grönland und nördlich von Island liegt, ist ein großzügiger Einbruch
arktischer Kaltluft über ganz Nordwest-Europa nicht möglich. Als aber zum 7. April ein sehr kräftiger Druck -
1 H. v. F je k e r , Der Einfluß der Alpen auf Fallgebiete des Luftdrucks ... usw. M. Z. 1920, S. 350.
s B. Schröder, Untersuchung über die Bildung einiger Mittelmeerdepressionen. Veröff. d. Marineobs., Neue
Folge, 6.