W. Horn: Die astr. Grundlagen des harmon. Verfahrens usw.
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noch die Lage der beiden Grundebenen, auf die die Koordinaten bezogen sind, mit angegeben wird. Meist
werden die Koordinaten auf die Lage der Ebenen zu einer bestimmten angegebenen Zeit, durch die sie dann
eindeutig festgelegt ist, bezogen. Dies wird dann so ausgedrückt, daß der Ort des Gestirns in bezug auf ein be
stimmtes Äquinoktium angegeben ist. Wird von dem wahren Äquinoktium zu einer bestimmten Zeit der
Betrag der Nutation in Abzug gebracht, so wird das sog. mittlere Äquinoktium zu dieser Zeit, das also ein ge
dachtes Äquinoktium ist, erhalten. Außer dem mittleren Äquinoktium zur Beobachtungszeit wird noch viel
fach das mittlere Äquinoktium zu Beginn des betreffenden Jahres, genauer zu Beginn des nach B e s s e 1 als
annus fictus bezeichneten Jahres, das weiter unten erklärt wird, verwendet; es wird z. B. für das Jahr 1900
als das mittlere Äquinoktium 1900.0 bezeichnet. Sämtliche vorstehend erwähnten säkularen Bewegungen gehen
übrigens nicht genau gleichförmig vor sich. Die jährliche sog. allgemeine Präzession in Länge z. B. beträgt nach
Ne wc o mb 5 ) p = 50*2564 4- 0*0222 T,
wo T in tropischen Jahrhunderten (siehe unten) von der Epoche 1900.0 ab gerechnet ist. Die Zahlenwerte
säkularer Bewegungen müssen durch sorgfältige Bearbeitung und Ausgleichung zahlreicher möglichst genauer
Beobachtungen abgeleitet werden. Solche Beobachtungen sind im allgemeinen nur über etwa 150—200 Jahre
vorhanden, also über eine vergleichsweise sehr kurze Zeit. Nur im Falle der Mondbewegung bilden die
Beobachtungen totaler Sonnenfinsternisse aus dem Altertum eine sehr wertvolle Ergänzung neuerer Messungen.
Der Ort am Fixsternhimmel, an dem ein Gestirn einem Beobachter zu stehen scheint, kurz der schein
bare Ort des Gestirns genannt, ist noch beeinflußt durch die Parallaxe des Gestirns und seine Aberration.
Die Aberration ist der Bogen, um den das Gestirn verschoben erscheint, weil die Geschwindigkeit des mit
der Erde in ihrer Bahn bewegten Beobachters in einem endlichen Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit steht; die
Parallaxe ist der Bogen, um den der Ort des Gestirns dadurch verschoben erscheint, daß der Beobachter sich
nidit im Erdmittelpunkt, sondern an der Erdoberfläche befindet. 6 ) Wird der scheinbare Ort um die Parallaxe
und die Aberration verbessert, so wird der sog. wahre Ort erhalten. Wird noch die Nutation abgezogen, so
wird der sog. mittlere Ort des Gestirns erhalten, und zwar zunächst bezogen auf das augenblickliche mittlere
Äquinoktium.
Nach diesen Bemerkungen zur genauen Begriffsbestimmung der Koordinaten kann die Darstellung der
Sonnen- und Mondbewegung in bezug auf die Ekliptik wiederaufgenommen werden.
3, Es möge zunächst die Sonne betrachtet werden, deren Breite stets so gering ist, daß sie für die hier
verfolgten Zwecke gleich null angenommen werden kann. Bei Gezeitenuntersuchungen können ferner die kurz
periodischen Störungen unberücksichtigt bleiben, die von den übrigen Körpern des Sonnensystems auf die Be
wegung der Erde in ihrer Bahn ausgeübt werden und die entsprechende Störungen der scheinbaren Sonnen
bewegung verursachen. Die restlichen Störungen können als säkulare Änderungen der Bahnelemente aufgefaßt
werden. Es handelt sich also nunmehr darum, die Bewegung der Sonne in einer elliptischen Bahn um die Erde,
wie sie von dieser aus erscheint, darzustellen. Diese Bahnellipse wiederum hat eine veränderliche, z. Z. lang
sam abnehmende Exzentrizität und führt eine langsame Drehung in ihrer Ebene aus. Um ihre Lage zu be
zeichnen, wird die Länge ihres sog. Perigäums angegeben, das ist der von den beiden Schnittpunkten der großen
Bahnachse mit der Bahn, in dem die Sonne der Erde am nächsten steht.
Auf Grund des zweiten Kepler sehen Gesetzes nimmt die Länge der Sonne in ihrer Bahn nicht gleich
mäßig mit der Zeit zu. Es wird jedoch als Hilfsgröße eine sog. mittlere Länge der Sonne h eingeführt, die
bis auf säkulare Beschleunigungen diese Eigenschaft hat und im Mittel mit der Länge der Sonne überein
stimmt. Entsprechend wird eine mittlere Länge des Sonnenperigäums p 0 eingeführt. Nach Newcomb’)
gelten für h und p 0 , befreit von der Aberration und bezogen auf das mittlere Äquinoktium zur Zeit T,
sowie für die Schiefe der Ekliptik t, folgende Potenzreihenentwicklungen:
h — 279° 41'48:04 + 129 602 768:13 T + 1*089 T 2 ,
(4) p 0 = 281°13'15r0 + 6 189*03 T + 1*63 T 2 + 0:012 T 3 ,
s — 23® 27' 8f26 — 46*845 T — 0:0059 T 2 + 0:00181 T 3 .
Zur Ableitung dieser Werte hat Newcomb etwa 40 000 Sonnenbeobachtungen, die über 140 Jahre verteilt
sind, benutzt. Die Differenz h — p 0 , die als mittlere Anomalie bezeichnet und bei den folgenden Entwick
lungen gebraucht wird, hat nach (4) den Wert
(5) h — p 0 — 358° 28' 33:0 + 129 596 579:10 T — 0:54 T 2 — 0:012 T 3 .