Dr. Carl Pflugbeil: Sturmtiefbildung ü. d. nordamerik. Kontinent (Höhenwetterkarten; Isentropen-Analyse) 7
A. Einleitung.
Plan der Untersuchung.
In einer Privatkorrespondenz zwischen Herrn Dr. M. Rodewald und Herrn Robert G. Stone, dem
Herausgeber des „Bulletin of the American Meteorological Society“, sowie Herrn Andrew Thomson, Toronto,
Meteorological Service of Canada, ergab sich, daß in den Kreisen der amerikanischen Meteorologen in zu
nehmendem Maße ein Interesse an der von Sdierhag (1) und Rodewald (2) eingeführten Divergenztheorie
der Zyklonen und an der praktischen Verwendung der 500 mb-Höh^nkarten vorhanden ist, und daß eine
Anwendung dieser Theorie auf eine Sturmtiefentwicklung über Nordamerika sehr erwünscht wäre. Ursprüng
lich war daraufhin geplant, eine Bearbeitung dieser Wetterlage durch Herrn Dr. Rodewald und den Verfasser
in einer amerikanischen Zeitschrift in englischer Sprache zu veröffentlichen. Infolge anderweitiger starker
Inanspruchnahme des Herrn Dr. M. Rodewald ist die Bearbeitung ausschließlich vom Verfasser vorgenommen,
während durch die bei Kriegsausbruch neu geschaffenen Verhältnisse eine Veröffentlichung in überseeischen
Zeitschriften vorerst nicht in Frage kommt.
Eine Bearbeitung dieser amerikanischen Wetterlage erschien deshalb lohnenswert, weil hier die Ent
stehung eines Sturmtiefs mit Hilfe der Aerologie direkt studiert werden konnte, während umfangreichere
Tiefdruckgebiete, welche das europäische Festland erreichen, meist weitgehend okkludiert sind.
In der vorliegenden Arbeit ist darüber hinaus die von P. Raethjen (3) betonte Möglichkeit eines Energie
gewinnes aus thermodynamischen Kreisprozessen in Erwägung gezogen.
Um einen Anhalt über die Leistungsfähigkeit der in Nordamerika neuerdings verbreitet angewandten,
von Roßby und Mitarbeitern (4) eingeführten Isentropen-Analyse bei plötzlichen Zyklogenesen zu gewinnen,
ist auch dieses Verfahren auf die fragliche Wetterlage zur Anwendung gebracht.
B. Die Bodenwetterlage.
Zu Beginn, am 22. Januar 1938, 8 Uhr E. S. T. (Eastern Standard Time; bezieht sich auf den 75. West
längengrad), herrscht über den südlichen Staaten von Nordamerika eine flache Druckverteilung (Abb. 1,
Tafel I). Der Luftdruck ist verhältnismäßig hoch. Eine ausgeprägte, wenig Ortsveränderung zeigende Front,
welche von der mexikanischen Golfküste ausgeht und sich bis zum Appalachen-Gebirge erstreckt, trennt aber
zwei thermisch verschieden aufgebaute Hochdruckgebiete derart, daß echte subtropische Warmluftmassen
durch diese Front ihre nördliche Begrenzung am Boden finden. Das Zentrum des Bodenhochs in der
„gemäßigten“ Luftmasse liegt gut ausgebildet über dem Felsengebirge und Nevada. Über dem nördlichen
Amerika, von den Rocky Mountains bis zur Hudson-Bai, ist eine flache Tiefdruckrinne mit einzelnen kleineren
Tiefzentren zu erkennen.
Am nächsten Tage (Abb. 2, Tafel I) hat sich die nördliche Begrenzungslinie der subtropischen Warmluft
fast breitenkreisparallel eingestellt, während über Texas und Mexiko die westliche Begrenzung der Warmluft
in Form einer langsam ostwärts vordringenden Kaltfront, hinter der „gemäßigte“ I.uft strömt, sichtbar wird.
Im Prinzip lagert die subtropische Warmluft unverändert über den südlichen Staaten und dem Mexiko-Golf.
Weiter ist eine im Bodendruckfeld nur schwach angedeutete Kaltfront beachtenswert, die von Manitoba
(Winnipeg-See) nach dem nördlichen Felsengebirge (Cheyenne) zielt. Die Bodentemperaturen hinter ihr
zeigen gegenüber dem Vortag keine einheitliche Änderung; entsprechend der bisherigen winterlichen Hoch
druckwetterlage werden in diesen Gebirgsgegenden örtliche Strahlungsunterschiede sicher eine große Rolle
spielen. Wir beachten im Westen noch die Stärkung des Nevada-Hochs und eine weitere Kräftigung des hohen
Druckes im äußersten Nordwesten des Landes. Dadurch haben die Bodenisobaren, die am Vortag noch eine
ausgesprochen zonale Orientierung über dem westlichen Nordamerika aufwiesen, eine merklich meridionale
Anordnung erhalten. Im großen und ganzen macht diese Bodenwetterkarte mit ihren relativ kleinen Druck
gradienten aber durchaus noch einen harmlosen Eindruck.
24 Stunden später (Abb. 3, Tafel I) ist schon eine heftige Zyklogenese mitten im Gange, und ein wohl-
ausgebildetes Sturmtiefzentrum liegt südwestlich der Amerikanischen Seen. Die am Vortag nur schwach im