Joachim Bl ii tilgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüclie in Europa.
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europa nach Mitteleuropa wählt. Die Kaltluftbildung in Mitteleuropa vollzieht sich unter dem
Einfluß der erstarkenden kontinentalen Hochdruckachse (von den Azoren über die Alpen und
Ungarn nach Rußland) im Bereich Sücldeutschlands (namentlich im Alpenvorland), des unga
rischen Beckens, abgeschwächt auch in Böhmen, hauptsächlich aber in Galizien und der Ukraine.
Verdeutlicht wird diese für den Winter Mitteleuropas sehr wesentliche ..Achse" durch eine
Karte der Jahreszahl der Tage mit Schnee in Europa, die wir nach einem Entwurf E. Alts der
Arbeit Gorczynskis (1935, S. 209) entnehmen und in Fig. 92 wiedergeben. Es soll damit
natürlich keineswegs gesagt sein, daß das Ausbiegen der Isochionen nach SW nun ausschließlich
auf den Einfluß der Hochdruckachse zurückgeführt werden muß, sicher prägt er sich aber sehr
deutlich darin aus. Es ist daher richtiger, die Bildungsherde mitteleuropäischer Kaltluft von
Osten ausgehend als Ausläufer des großen osteuropäischen Herdes aufzufassen, die ihre vor
geschobene Lage einmal der orographisch en Gliederung (große Becken, z. T. geschützte Ge
birgsvorländer), sodann aber den mittleren Luftdruckverhältnissen verdanken. Ihnen stehen
gegenüber die nachW (Frankreich) undN (Norddeutschland) offenen Abdachungen, welche einer
seits dem Hochdruckeinflufi der „Achse“ schon stärker entzogen sind, andererseits dem Zustrom
ozeanischer Luftkörper orographisch nichts in den Weg legen. Wir erkennen allein schon hieraus,
wie es uns die Verhältnisse des November lehren, daß das Schwergewicht des Winters
in dynamischer Beziehung im Süden und Südosten Mitteleuropas liegen
muß: denn hier kommt zu der passiven Rolle des bloßen Überwehtwerdens (NW-, NO-und z. T.
Nsk-KE noch die aktive eines KE-Quellgehietes hinzu. Die Voraussetzungen für die Erhaltung
dieses Kaltluftcpiellgebietes sind allerdings geringere als in Nordeuropa—Lappland. Nament
lich ist der nachhaltige und nahezu alles beherrsdiende Einfluß eines Sperrgebirges nicht vor
handen. Welche im übrigen nicht geringfügige Rolle die Alpen in anderer Hinsicht spielen,
wird noch mehrfach betont werden.
D ie soeben erwähnte Abdachung Mitteleuropas nach Westen und
Norden kommt nun aber nicht nur den ozeanischen Einflüssen zugute,
sondern ebenso den kontinentalen aus NO. Daher muß es, wenn die Voraus
setzungen über Entstehung in Nordosteuropa erfüllt sind, von den NO-KE betroffen werden.
Es ist klar, daß das Häufigkeitsgefälle dabei ein nordost-südwestliches ist. Im einzelnen kommen
wir hierauf noch zum Schluß zurück. Eine häufiger beobachtete Grenze des Auftretens der
NO-KE liegt am Rhein: aber diese ist nicht orographisch bedingt, sondern durch das Gegen
gewicht milder südwestlicher Luftströmungen. Beim Ausbleiben eines Luftclruckhindernisses
überschwemmen daher NO-KE ganz Mitteleuropa und dringen im Westen in das Herrschafts
bereich der maritimen Polarluftvorstöße (England) ebenso vor wie im Süden in das Gebiet
mehr oder weniger ausgeprägten Mittelmeerklimas (Spanien, Italien).
Der NO-KE wird öfters durch einen unvermittelten kräftigen Luftdruckanstieg über der Ostsee und einen Fall
über dem Mittelmeer eingeleitet (Di nies, 1954 [bl, wie das Beispiel des NO-KE vom 10. zum 11. Dezember 1951 lehrt
(Fig. 95), dabei springt der Wincl förmlich von W auf NO und die Temperatur sinkt erheblich, an der Front auch
Mischungsschneefälle verursachend. Verständlich ist dieses aktive Vordringen ohne Übergänge nur durch den anti-
zyklonalen Druck von Norden her.
Das Fortschreiten der NO-KE aus NO nach SW hat Ort m eye r (1928) in seiner Abhängig
keit von dem Relief Deutschlands behandelt. Danach tastet die vorderste Spitze des außer
ordentlich flachen Kaltluftkeils das Relief förmlich ab auf der Suche nach Becken und Mulden,
in die sie zuerst eindringen kann, wird anfangs an den deutschen Mittelgebirgen aufgehalten,
überströmt sie aber dann bei größerer Mächtigkeit und bei kräftigerem Gradientimpuls rascher.
Als Beispiel des Vordringens sei cler NO-KE vom 7. März 1932 gewählt (Fig. 94):
Bei dem kleinen Maßstab können naturgemäß in der Karte cler Fig. 94 keine Einzelheiten
gebracht werden, zumal das Netz der auf den Wetterkarten verzeichneten Stationen für solche
Zwecke viel zu weitmaschig ist. Die großen Verschiebungen von Tag zu Tag sind jedoch gut
erkennbar.
Die Kaltluft der NO-KE erreicht Mitteleuropa zuerst in Ostpreußen und Polen. Da in den
meisten Fällen auch hier vorher relativ milde Luft zu lagern pflegt, ist cler Temperatur sprang
in diesen östlichen Teilen Mitteleuropas nicht geringer als weiter westlich, wo zwar die Kaltluft