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Joachim Blii tilgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüche in Europa.
sehen Gebirges). Die mittleren Januarisothermen spiegeln das deutlich wider, wie aus jedem
Atlas zu entnehmen ist. Zwar bewirkt die Ausstrahlung in Skandinavien die tiefsten Tempera
turen des Winters, aber die Advektion kalter Luftmassen ist als Voraussetzung am Zustande
kommen dieser Extremtemperaturen unerläßlich. So kommt es, daß Skandinavien nicht nur
Ausgangsgebiet für KE ist, sondern auch von solchen aus anderen Gebieten überschwemmt wird.
Der Beginn der Kaltluftbildung int Herbst ist bereits verbunden mit Kaltluft
vorstößen. Die schon im August und September bei Spitzbergen beginnende Kaltluftbildung
dringt Ende September (gegen Nordeuropa vor, worauf das Aufleben der Nsk-KE in
unserer Statistik um diese Zeit hinweist. ZAvar bleiben die Küstentemperaturen der norwegi
schen Eismeerküste dank der Wärmeabgabe des Meeres relativ hoch, aber im Innern Lapplands
herab bis nach Dalarna tritt bei Eintreffen solcher Luftkörper allgemein Frost ein. Der Meeres
einfluß an der Küste im Herbst geht aus Fig. 8 und 9 bei Birkeland und Föyn (1952) her
vor, auf denen die Ausbuchtung wärmerer Isothermen um das Nordkap herum im September
und November deutlich ausgeprägt ist.
Der früheste mittlere Schneefall ist in Yardö (Kunze, 1953, S. 52) im September anzutreffen. Mit dieser ersten
Kaltluftzufuhr setzt der nordskandinavisehc Winter ein, wenn auch meist vorerst nur vorübergehend. Dali damit
schon so frühzeitig anhaltend Frost und Schnee kommen, ist im September 1939 eingetreten, was mir ein Siedler aus
Finnisch-Lappland berichtete. Das ist außergewöhnlich auch aus dem Grunde, weil in den letzten Jahrzehnten gerade
der September zu einer positiven Anomalie der Temperatur neigte, eine mit der säkularen Wintermilderung zusam
menhängende Tatsadie, auf die ich an anderer Stelle eingegangen bin (Blüthgen, 1940 [c], S. 446). Allerdings haben
frühere und eigene Beobachtungen ergeben, daß sogar schon Anfang August durdi Ausstrahlung in maritimer Luft in
Lappland recht fühlbare Bodenfröste auftreten, die für die Vegetationsperiode der Kulturpflanzen von einschneidender
Bedeutung sind (Blüthgen, 1940 [b],S. 95). Aber diese Sommernachtsfröste, welche A. Hamberg (1904) eingehend be
handelt hat, sind nicht als KE in unserem Sinne zu behandeln, obschon sie aus dem Vorherrschen arktischer Luftmassen
mit hoher Diathermansie und dem polaren Sonnenstand zu erklären sind im Verein mit der Schutzlage (vor Wind!)
der Waldlichtungen, deren Moorboden eine geringe Wärmeleitfähigkeit und außerdem' eine hohe Wärmeausstrahlung
besitzt.
Die auf den ersten Wintereinbruch hin fortschreitende, durch die Ausbildung der Schnee
decke kräftig geförderte Kaltluftbildung gewinnt, von Lappland ausgehend, südwärts und ost
wärts an Raum. Lappland beginnt nunmehr, das Quellgebiet von NO-KE zu werden (im
Oktober). Bei tiefem Druck über dem Ozean leistet die Kaltluft mehr und
mehr Widerstand gegen die Vordringen de Meeresluft, so daß diese entlang
der norwegischen Küste polwärts abgelenkt wird. In dem scharfen Zurückgehen der Nsk-KE
in Skandinavien seit November spiegelt sich dieser wachsende Widerstand deutlich wieder.
Jetzt ist Lappland zum — allerdings selbständigen — nordwestlichen
Eckpfeiler des nordeuropäisch-russischen Kaltluftreservoirs geworden.
Aus ihm entspringen die NO-KE. Skandinavien liegt vielfach noch in der Wurzelzone mit
heiterem Strahlungswetter und Kalmen, während der Nordoststrom über Finnland—Nordruß
land südwestwärts schwenkt. Daß Eismeerkaltluft vom Barentsmeer, insbesondere aus dem
Raume von Nowaja Semlja, oft an der Ausbildung eines mächtigen nordrussischen Kälteblocks
beteiligt ist, sei damit keineswegs bestritten. Wir dürfen uns den Winter Skandinaviens des
wegen aber durchaus nicht als reinen Strahlungstyp vorstellen, nur weil die NO-KE vielfach
über Skandinavien ein Gebiet stillen Strahlungswetters seitwärts ihrer eigentlichen Stoßrichtung
liegen lassen. Die vom Atlantik her vordringenden Wellen feuchter und milder Luft ebenso wie
die maritime Polarluft des Nord- und Eismeeres bleiben nicht, ohne Einfluß. Zwar sind sie un
mittelbar am Boden nur an der Atlantikküste bzw. an der Eismeerküste nachzuweisen, jedoch
überwehen sie die festländische Kaltluft und führen daher zu mehr oder weniger ergiebigen
Aufgleit- und Mischungsschneefällen. Hier liegt ein Vergleich mit den nordamerikanischen Ver
hältnissen des Felsengebirges und der Great Plains nahe. Über den Great Plains lagert im
Sch atze des Felsengebirges kontinentale Kaltluft, während pazifische Meeresluft gezwungen ist,
bis zum Gebirgskamm aufzusteigen und in dieser Höhe über die Kaltluft aufzugleiten. Ja, so
gar in Mitteleuropa kann das eintreten, dann nämlich, wenn die Warmluft einmal nicht aus
SW. sondern aus SO vordringt und die Alpen den Schutz der nördlich vorgelagerten Kaltluft
übernehmen.