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Joachim Blüthgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüche in Europa.
Fig. 74. Gliederung des Untersuchungsgebietes in Teilräume.
Fig. 75. Beispiel eines NW-KE, der über Ost
england schmale Ausläufer entwickelt hat.
(Nach Bad. Wetterbericht.)
2. Der Nordwestranm.
Unter den Teilräumen des Untersuchungsgebietes nimmt der Nordwestraum das größte
Areal ein, und davon wieder sind zwei Drittel etwa vom Meere bedeckt. Das Zur ück -
treten des festen Landes ist von ausschlaggebender Bedeutung' für die Kaltluft. Als Kalt
luftquellgebiet kommt fast ausschließlich Nordostgrönland mit dem vorgelagerten Eis
strom des Storis in Betracht, das jedoch bereits außerhalb unseres Untersuchungsbereichs
liegt. Die relativ große Entfernung von clen Kaltluftquellgebieten des europäischen Festlandes
bewirkt, daß in diesem Bereich die Kaltluftausflüsse aus dem nordostgrönländischen Quellgebiet
nahezu ausschließlich herrschen (NW-KE). Zwar reichen auch ausgedehnte C- und NO-KE in die
südöstlichen Gebiete dieses Raumes, bilden aber dort nur eine Minderheit. Die Grenzlinie,
welche clen relativ einheitlichen NW-Raum mit seinem maritimen Charakter von dem kaltluft-
klimatologisdi äußerst komplizierten Mitteleuropa abgrenzt, verläuft ziemlich scharf entlang
der festländischen Küste von Dänemark bis nach Südwestfrankreich.
Auf dem Atlantik ist die Abgrenzung problematisch, da wir liier wenig- feste Stationsmeldungen besitzen. Da
es sich jedoch bei den NW-KE ran zyklonal gebundene Vorgänge handelt, und wir andererseits das Strömungsfeld
einer Zyklone im Nordatlantik bis zum Skandik im großen und ganzen interpolieren können, so läßt sidi dement
sprechend die Abgrenzung des Nordwestraumes südwestlich Islands und westlich Irlands angenähert angeben. Sicher
ist das Bereich südlich Islands und westlich Irlands nicht sehr groß. Wir können das daraus schließen, daß Irland
hauptsächlich nur im Norden von maritimpolarer Kaltluft, die Temperaturen in Gefrierpunktsnähe hervorbringt,
berührt wird. Zwar reicht Grönland mit seinen Eismassen weit südlicher als Island, und Kaltluft wird selbstver
ständlich von dort auch abfließen, aber sie hat in der Breite Südgrönlands eine so große Strecke über den Atlantik
zurückzulegen, daß sie bei ihrem Eintreffen in Irland die für uns wesentlichen thermischen Eigenschaften verloren
hat. Wir können daher mit gutem Recht die Linie zwischen den Gradsehnittpunkten 15° W — 50° N und 25° W — 60° N
als ungefähre westliche Begrenzungslinie annehmen.
Im Nordosten bildet Skandinavien ein Hindernis. Die Fronten der Zyklonen, welche mit
nachfolgender Polarluft über den Raum der Nordsee ungehindert bis nach Mitteleuropa schwen
ken können, werden an der norwegisdien Küste aufgehalten und abgedrängt: es kommt zu
geographisch bedingten Okklusionen (Macht, 1937). Es ist dabei gleichgültig, welchem Effekt
man die größere Wirkung zuschreibt, dem rein orographisehen Stau, dem Widerstand der
skandinavischen Kaltluft oder der durch die nordatlantischen Golfstromausläufer gegebenen
marinen „Leitlinie“. Jedenfalls wird bewirkt, daß z. B. die maritimpolare Kaltluft, welche auf
der Nordseite der nordatlantisdien Tiefdruckrinne bei Jan Mayen heftig vorstößt (vgl. Kunze,