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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. — 60. Band. Nr. 6/7.
Winter erkennen wir die Übereinstimmung mit der bezüglich der Yereisungsintensität in der
Ostsee festgestellten Tendenz zur weiten Verbreitung milder und räumlichen Beschränkung
strenger Winter (Bliithgen, 1938 [b], S. 97/98). In der Höhe der Gesamtzahl der KE ist
also eher ein Mail für die Wechselhaftigkeit des Winters gegeben. Mit seiner thermi
schen Intensität hat das aber nichts zu tun. So war demnach der Winter 1926/27 der
wechselhafteste, während seine thermische Intensität nicht besonders von der Norm ab
wich. Der sehr strenge Winter 1928/29 dagegen zeigte eine hervortretende Neigung zur
Konstanz einer Wetterlage, die sich weniger in der besonderen Länge kalter NO-KE zeigte,
als vielmehr in deren oft wiederholtem Wechsel mit C-Lagen oder SO-Lagen, also in einer für
intensive Kälte in Mitteleuropa typischen zeitlichen Folge der KE. Daß hierbei ganz allgemein
das Vorhandensein einer Schneedecke entscheidend mitspricht, hat bereits Schmauß (1933 [b].
1929) hervorgehoben. Der Einfluß der Schneedecke auf den Charakter der Folgezeit hat wohl
erstmalig Aßmann (1887) und systematisch kurz darauf Woeikof (1889) untersucht. Wir be
rühren damit erneut ein wichtiges Problem dieses Kapitels, nämlich mit Hilfe der KE-Statistik
zu einer thermischen Charakterisierung einzelner Winter in den Teilen Europas zu gelangen.
Die zeitliche Anordnung der KE-Tvpen schafft eine der Voraussetzungen für das thermische
Verhalten. Die weitere Voraussetzung ist der thermische Charakter der einzelnen KE selbst,
der durchaus verschieden ist. So wurde schon an anderer Stelle betont {Blüthgen, 1940 [c]).
daß eine durchschnittliche Erhöhung der Häufigkeit „kalter“ Winde in den letzten Jahrzehnten
für verschiedene Bereiche die allgemeine Milderung der Wintertemperaturen nicht hat hint
anhalten können. Übertragen auf unsere Probleme ergibt sich, daß z. B. clie relativ große Häufig
keit von NO-KE im Winter 1931/32 durchaus keine hervortretende Temperaturerniedrigung des
Gesamtwinters zur Folge hatte.
Was nun die zeitliche Folge der KE-Typen betrifft, so ist auf Kausalzusammenhänge unter
einander schon im vorigen Abschnitt hingewiesen worden. Es soll daher hier nur clie Aufein
anderfolge im Jahresgang durchgesprochen werden, und zwar unter Verwendung der
Fig. 41—62.
Kalte Winter zeigen ein Vorwiegen aller kontinentalen KE-Typen zusammengenommen,
also nicht nur der einzeln auftretenden, sondern auch ihrer Kombinationen. Damit ist aber
stets ein Zurücktreten der NW-KE verbunden. Die in Nordeuropa eintreffenclen maritim-
polaren KE dagegen nehmen eine besondere Stellung ein, hinsichtlich ihrer Bedeutung für clie
Strenge des Winters müssen sie den NO-KE an die Seite gestellt werden, und nidit den NW-KE,
obwohl sie mit diesen strukturell zunächst mehr Ähnlichkeiten besitzen. 1928/29 zeigt sogar
abweidiend von allen Jahren ein Vorwiegen der Nsk-KE vor den sonst bei weitem an erster
Stelle stehenden NW-KE. Verbunden mit einer ebenfalls großen Zahl von NO-KE (und anti-
zyklonaler SO-KE) und einer relativ hohen C-Zahl waren somit die Voraussetzungen für einen
strengen Hochwinter gegeben, was die Zusammensetzung nadi KE betrifft: Zufluß maritim-
polarer Eismeerluft, Kontinentalisierung über Nordeuropa und Nordrußlancl, Einschaltung der
auf diese Weise schon stark abgekiihlten Luft in kontinentale Luftströme bis nach Mittel- und
Westeuropa, Aufbau eines selbständigen mitteleuropäischen Kaltluftblocks mit allseitigem Ab
fluß und Zusammensinken mit anziehenden Strahlungsfrösten. In den häufigsten Fällen wirken
sich clie Nsk jedoch nur für Nordeuropa aus, indem sie dort zur steten Erneuerung des Kalt
luftblocks im Schutze des Kjöl beitragen. Ihre Stoßrichtung geht auch vornehmlich nach SO,
eine sowohl von Exner wie von Ficker betonte Erscheinung (1918, 1910 [b]). Die Kolatiefs,
an die sie gebunden sind, sind dann als Ausläufer verstärkter norclatlantischer Wirbeltätigkeit zu
betrachten. Sie wirkt als stärkere Luftdruckvariabilität bis nach Westsibirien hin. Über die
KE-Zusammensetzung des Winters 1928/29 vgl. Fig. 36!
Nordwestvorstoße bringen während des ganzen Winters nur Island zeitweise anhaltende
winterliche Verhältnisse, seltener und weniger lange anhaltend schon England. Vollends in
Mitteleuropa treten sie in ihrer Bedeutung für den Winter zurück, da sie hier nicht nur an sich
seltener auftreten, sondern auch zudem oft maskiert sind, cl. h. zu den hier im übrigen auf
tretenden KE relativ viel höhere Temperaturen aufweisen, ln milden Wintern, mit einer aus
geprägten Westwinddrift, ist zwar ein verstärktes Auftreten der NW-KE gegenüber den