Joachim Bliitilgen: Geographie der winterlichen KaltlufteinbiTiche in Europa.
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Osteuropa. Das gilt für den Gang aller der Elemente eines KE, die für jene angedeuteten
Schwankungen besonders empfindlich sind. So wird die mittlere Temperatur der NW-KE sieb
erhöhen, in dem Maße wie die Advektion warmer Luftmassen nach der Arktis verstärkt anhält,
und sie wird sich senken mit der Abschwädiung der Warmluftzufuhr. Aus sdion erwähnten
Gründen ist diese Tendenz statistisch bei den Kaltluftvorstößen schwer erfaßbar, sofern wir an
unserer Methode festhalten. Da diese Probleme jedoch eng mit den Luftdruck Verhältnissen Zu
sammenhängen. kommen wir hierauf noch im nächsten Abschnitt zurück.
6. Die meteorologischen Ursachen der Kalt l'u ft Vorstöße.
ln diesem Abschnitt soll ausschließlich von den Ursachen der Kaltlufttrausporte, nicht da
gegen von der Kaltluftbildung selbst, die Rede sein. Es ist ebenso wie das vorige Kapitel eine
zusammenfassende Überschau dessen, was bereits im einzelnen bei Besprechung der KE-Typen
bemerkt wurde, nur daß zu diesem Thema eine ungleich viel umfangreichere meteorologische
Literatur zu verarbeiten war. Berühren wir doch hiermit nichts mehr und nichts weniger als ein
Kernproblem der gesamten Meteorologie, nämlich Aufbau und Wirkung der Luftdruckgebilde.
Kaltlufteinbrüche werden durch die Luftdruckverhältnisse dirigiert, wobei die
Stratosphäre oft eine größere Rolle spielt als die Troposphäre (O. Fink, 1936). 31 ) Inwieweit
die von ihnen transportierte KL ihrerseits Luftdruckveränderungen bewirkt, ist eine andere
Frage, die von sekundärer Bedeutung ist. Defant (1910) betonte diesen Zusammenhang, auch
Kenclrew (1930) äußert sich entsprechend (S. 271): „The local pressure changes are rather
the result than the cause of the air movement." Übereinstimmend damit konnte Scherhag
(1935) für Holland feststellen, daß „der Luftdruck am Boden bei unteren Kälteeinbrüchen an
steigt (S. 293). um so mehr, je ausgesprochener der Sitz des Temperaturrüdeganges in eleu
unteren Schichten liegt“. KE aus NW sind z. B. stets mit einem Drucksteiggebiet am Boden
verbunden, andererseits sind z. B. Hochdruckgebiete bei Schottland, die auffallend stationär
sind, nicht thermisch bedingt, sondern dynamisch. Auf diesen Unterschied macht z. B. Extern
brink (1937. S. 5) aufmerksam. Wir wissen, daß ein solches Hochdruckgebiet einen ther-
misdien Anbau durch einen KE erfahren kann, andererseits geht aber das Absaugen südost
europäischer KL einher mit Barometerfall. Wir wollen aber hier nicht zu weit gehen, und die
Ursachen von Ursachen untersuchen, selbst wenn eine wechselseitige Beeinflussung vorliegen
mag. Audi Wagner (1937) schreibt in diesem Zusammenhänge: „Sdiließlidt muß betont
werden, daß man bei Druck- und Temperaturanomalien nicht eindeutig zwischen Ursadie und
Wirkung unterscheiden kann.“ Die Veränderungen der Luftdrucktopographie seien daher für
unsere Zwecke als Faktum hingenommen, von dem die Luftmassentransporte abhängen.
Diese Abhängigkeit geht, wenn auch nicht direkt ausgesprochen, z. B. sdion aus der grundlegenden Arbeit van
Bebbers und Köppens (1895) sowie aus der kleinen Skizze Köppens zwanzig Jahre früher (1874) hervor.
Tn der erstgenannten Arbeit werden die Isobarentypen Nordwesteuropas eingehend behandelt. Einige dieser Typen
decken sich mit denen, die hier als Ursadie unserer KE-Typen hingestellt werden. Zwar ist jene Arbeit in ihrer
eigentlichen Zielsetzung und auch in ihrem Gegenstand rein meteorologisch, jedoch wird schon (S. 11—.16) der Versuch
gemacht, das Auftreten bestimmter Isobarentypen mit bestimmten Wettertypen für einige Stationen Deutschlands in
:il ) Der Umfang und die Stärke eines KE kann allerdings keineswegs aus den gegebenen Luftdruckverhältnissen
allein ursächlich erklärt werden, wie ja auch das über den Einfluß vorangegangener KE Gesagte beleuchten wird. Und
so ist es auch verständlich, wenn G. v. Elsner (1925, S. 19- 21) über die prinzipielle Parallelität hinaus (Vergleich
langjähriger Pcntadenmittel des Luftdrucks mit solchen der Temperatur) Vorbehalte im einzelnen äußert: „Anschei
nend ganz ähnliche Wetterlagen rufen keineswegs gleich starke Kälterückfälle hervor. Eine große Rolle spielt dabei
anscheinend der ganze Charakter des Winters, vor allem aber die Schneebecleckuug.“ „Die Ursachen der Kälte-
riickfälle sind sein- verschieden. Ein Minimum über der Ostsee ist zwar in einigen Fällen vorhanden, doch ist meist
die Lage der Hochdruckgebiete für das Zustandekommen der Kälterückfälle von entscheidender Bedeutung.“ „Eine
einheitliche Ursache für die Kälterückfälle fehlt also. Maßgebend dafür ist entweder eine Luftdruckverteilung, die
Ausstrahlung bedingt oder eine solche, welche Winde aus nördlichen bis östlichen Richtungen hervorruft. Diese Ver
schiedenheiten sind cs, welche die Ursachen der Kälterückfälle auf den Pentadenkartcn nur sehr unvollkommen zum
Ausdruck kommen lassen.“ Diese Feststellungen verraten daher den komplizierten kausalen Zusammenhang und
weisen bereits auf die Notwendigkeit hin, das Kausalproblem nicht allein von der Seite des Luftdrucks, sondern auch
von der der verschiedenen KE-Typen aus anzugreifen.