Joachim Blii tilgen: Geographie der winterlichen Kaltluftcinbrüchc in Europa.
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Kaltluftmassen bilden ein schwer wegzuräumendes Hindernis. Die Warmluft umgeht daher
Skandinaviens meistens. Daß sie dabei, wie auch S c h i n z e (S. 56) betont, im äußersten Norden
Europas dank der Nähe der Polarkaltluftkalotte rasch okkludiert, stimmt überein mit der Tat
sache, daß über Nordlappland in der Hauptsache im Winter drei Luftmassen einander ablösen:
lokale Bodenkaltluft, die meist von der vorbeiziehenden Südwestströmung gestreift wird, aber
selten weggeräumt wird; ferner maritime Polarluft, die aus NW vorstößt, ohne daß vorher ein
Warmluftsektor am Boden erkennbar ist; schließlich arktische KL, welche von Nordosten aus
dem Barentsseegebiet eintrifft.
In Nordamerika kann man den ähnlichem Fall studieren, daß das Felscngebirge die WL zurückhält, wäh
rend die kontinentale KL aus dem Bereich des Canadahodis über das Flußgebiet des Mississippi ungehindert bis zum
Golf von Mexiko vorstofien kann {vgl. z. B. Externbrink, 1957). Willett (1935) hat in seiner für USA.
grundlegenden Arbeit (S. 8) die geographische Bedingtheit des Luftkörperklimas sehr klar herausgestellt und
dabei auch auf die durch die geographischen Gegebenheiten Nordamerikas bedingten Typen unterschiede der Luft
körper gegenüber den europäischen Sctinzes hingewiesen.
Der Trog des Atlantik beherbergt für Europa in der Hauptsache die milden Luftströmungen:
dieser großzügige Transportweg wird nun durch kleinere La ml flächen nicht wesentlich ge
hemmt. Diese werden vielmehr ohne Hemmung überflossen. und nur in meteorologisch be
dingten Ruhepausen kann sich eine lokale Kaltluftbildung auch auf exponierten maritimen
Landflächen, wie z. B. in Irland und Island zufolge der dann wirksam werdenden Ausstrahlung
bemerkbar machen. In Island ist das deswegen besonders häufig anzutreifen, weil es zwar noch
der Minimazugstraße sehr nahe liegt, aber andererseits auf der polaren Seite derselben von
vornherein mit häufigerer Zufuhr polar maritimer Luft zu rechnen bat, innerhalb der in Ruhe
pausen die Kaltluftbildung besonders intensiv ist. In Irland sind es dagegen feuchtmilde Luft
massen, deren Diathermansie geringer ist. Hinzu kommt der Unterschied der Breitenlage.
Im nordwestlichen Eckpfeiler des eurasisclien Kontinentes summie
ren sich die Faktoren, welche die KL-Bildung begünstigen: Nordeuropa
liegt einerseits nördlich genug, um ein starkes Über wiegen der Ausstrahlung im Winter zu
besitzen; sodann hat es ungestörten Anschluß an die osteuropäischen Kontinentalflächen; der
Gebirgswall gegen den Atlantik schützt es weitgehend gegen direkte Warmluftüberwehung.
Schl ießl ich bedingt auch hier ähnliche wie in Island die Nähe des Polargebietes relativ häufige
Zufuhr polarmaritime!' KL, innerhalb der die Bedingungen für Temperatur Senkung nach den
oben aufgezählten geographischen Gegebenheiten stärker hervortreten.
In Mitteleuropa fällt zwar die extrem lange Winternacht schon weitgehend weg, aber
die Nähe des osteuropäischen Kontinentes mit seiner intensiven Kaltluftbildung einerseits und
die Öffnung nach Westen zum milden atlantischen Bereich reguliert im einzelnen das Maß der
Kaltluftbildung. Meteorologische Konstellationen werden daher im einzelnen bestimmen, wel
cher Einfluß sich durchsetzen kann. Auch in südeuropäischen Hochflächen (Spanien) oder Becken
(Poebene) vermag sich unter geeigneten meteorologischen Bedingungen die Kaltluftbildung
durch Ausstrahlung im Winter bemerkbar zu machen. Überhaupt führt eine Kammerung des
Kontinents nicht nur zur Bildung wirksamer Kaltluftherde, sondern bedeutet; auch einen Schutz
gegen rasche Wegräumung der gebildeten KL.
Die meteorologischen Bedingungen der Kaltluftbildung haben wir insofern bereits gestreift,
als wir die Bedeutung der verschiedenen Luftmassen für das Absinken der Temperatur (polar
maritime Luft in Island und Lappland) betont haben. In der Hauptsache fördert natürlich
hoher Luft d ruck die Ausstrahlung durch die Tendenz zur Aufheiterung und damit die ört
liche Abkühlung 2 “), das Ausbleiben milder Advektionsströmungen tritt hinzu. Die über die
Alpen führende Hochdruckachse, welche das osteuropäische thermal bedingte Winterhoch mit
dem dynamisch bedingten Azoreulioch verbindet, sichert dem südlichen Mitteleuropa und Süd
osteuropa, der Poebene und Hochspanien die für Kaltluftbildung günstigen meteorologischen
Bedingungen. Nordwesteuropa dagegen untersteht dem Regime der in dem atlantischen Troge
entlang ziehenden Zyklonen und hat nur selten und stellenweise ruhiges, klares Strahlungs
wetter. Eine nennenswerte Kaltluftbildung findet daher in diesem Raume nicht statt.
~' J ) Selbst bei völliger Bewölkung beträgt die Ausstrahlung nach Äugst röm (1919 [a]) noch 10% der Klar
ausstrahlung.