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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 58. Band, Nr. 3
leistung aufweisende Eisbrecher „Jermack“ mußte mit ziemlichen Beschädigungen Reval als Nothafen anlaufen.
(Angaben nach Lit. Nr. 41, S. 171.)
Während des Dezember—Januar erreicht das Festeis im Küsteneissaum eine mittlere Stärke von 60—90 cm,
die sich im weiteren Verlaufe des Winters nicht mehr sehr verändert, zumal eine Schneedecke isolierend wirkt. Die
Schären und Inseln sind an dem Zustandekommen des Küsteneissaumes durch ihre eigenen Eissäume beteiligt. Im
Seegebiet verändern sich die Eisverhältnisse lokal außerordentlich stark je nach Richtung und Stärke des Windes,
sie sind jedoch in allen Fällen als schwer zu kennzeichnen. Am leichtesten sind noch die Eisverhältnisse vor
Hungerburg, wo der Weg zum offenen Wasser bzw. leichten Treibeis nicht weit ist und auch keine Schären vor
gelagert sind.
Selbst die milden Winter führen in dem Eisgebiet I noch zu einer von der Norm wenig abweichenden Ver
eisung (Abb. 63), die sich höchstens durch eine geringere Dauer auszeichnet, aber zu ähnlich schweren Eisverhält
nissen führt wie sie sich in strengen Wintern ergeben. Damit ähnelt dieses Eisgebiet dem der Bottenwiek sehr.
Auch die Erscheinung des Treibeises im Seegebiet lange nachdem die Küste bereits eisfrei ist, macht sich hier be
merkbar. Allerdings ist dieser Vergleich nicht dahin auszudehnen, daß es sich hier um genau die gleiche an jener
Stelle als Landlösung bezeichnete polare Abschmelzeigenart handelt (Lit. Nr. 31, S. 41/42).
Die Dauer der Eisperiode, d. h. die Anzahl der Tage mit Eis, beläuft sich bei Leningrad auf durchschnitt
lich 222 Tage (nach Lit. Nr. 106), bei Kronstadt dagegen nur mehr auf 168 und bei Schepel auf 120. Die Ver
kürzung dieser Periode westwärts geschieht wesentlich zugunsten des Eisbeginns, nicht der Enteisung, die sogar in
den westlicheren Stationen eher später erfolgt. Während des Hochwinters verändert sich die Eisdecke nur wenig.
Da das gesamte Seegebiet von Eis bedeckt ist, das zudem festgefroren ist, bleibt auch die Kante des Küstenfest
eises konstant. Anfangs bildet sich viel Treibeis durch Abbruch von dem sich seewärts ausdehnenden Festeissaum,
die Newa befördert vom Ladoga See her weitere Eismengen in den inneren Winkel des Finnischen Meerbusens,
jedoch von Ende Dezember ab ist diese Möglichkeit ausgeschaltet, da dann dem Eise kein Bewegungsspielraum
mehr bleibt und die Stürme nur selten das Eis wirklich aufbrechen. Es handelt sich dann meistens um große
driftende Flächen, die an den Rißstellen zur Bildung großer Packeiswälle Anlaß geben.
Die Enteisung beginnt mit der Auflösung des Küsteneises und der Lösung des Treibeises im Seegebiet.
Die Bewegungstendenz ist im Durchschnitt nach Westen gerichtet, jedoch vollzieht sich die Enteisung nur zögernd,
da sich viele topographische Hindernisse in den Weg legen. Zuerst beginnt das seewärtige Treibeis sich in Be
wegung zu setzen. Dies geschieht Ende April—Anfang Mai. Später besteht dann die Möglichkeit, daß das mürbe
Küstenfesteis durch Wind und Seegang abgebrochen wird und ebenfalls in Drift gerät. Dies stellt die zweite Etappe
der Enteisung dar, die sich etwa ein bis zwei Wochen nach Beginn der ersten einstellt. Schließlich bringt die
Newa aus dem Ladoga See, der später enteist, noch einmal Treibeis mit, das aber nicht mehr sehr weit in den
Finnenbusen gelangt. Infolge der schlechten Abdriftverhältnisse östlich von Hogland, weniger wegen etwaiger
thermischer Behinderung der Schmelze, wird dort noch relativ spät Treibeis beobachtet. Selbst im Juni kann noch
Treibeis angetroffen werden.
Da die Periode der kältebringenden Ost- und Nordostwinde, die für den Bottenbusen so ausgeprägt war, im
Bereich des Finnenbusens nicht so deutlich ist, schließt die Enteisung früher. Das geschieht an der Küste darum
eher, weil die Insolation, die hier stärker fühlbar wird als im Bottnikum, das Land und die Randgewässer stärker
erwärmt. Demzufolge beginnt der Zerfall des Küstenfesteises früher. Das Treibeis dagegen wird an der Abdrift
wegen der Abgeschlossenheit des Seegebietes gehindert. Aus diesen Gründen ergibt sich für den östlichen Finnen
busen eine ähnliche Vereisungslage wie für die Bottenwiek, jedoch bei prinzipiell etwas anderen Voraussetzungen,
die nicht mit den Gegebenheiten der Bottenwiek (Kältewellen vom Barentsmeer her, kalte Seenebel) zu ver
wechseln sind.
Da die Vereisung sich naturgemäß vorzugsweise bei den kalten Ostwindlagen einstellt, ist ihr seewärtiges
Wachstum dadurch begünstigt. Randlich wird Treibeis abgetrieben, das sich im Seegebiet östlich Hogland sammelt,
inzwischen schiebt sich der Küsteneissaum immer weiter vor. Die Vereisung des Finnischen Meerbusens kann
darum beim Einbruch derartiger Ostwetterlagen sprunghaft erfolgen. Dies äußert sich auch in einer sprunghaften
Zunahme des Eisweges von Leningrad nach Westen, eine für die Schiffahrt besonders hinderliche Eigenart. Das
beifolgende Diagramm (Abb. 62) (aus Lit. Nr. 106, S.33) veranschaulicht die plötzlichen Veränderungen des
Seeweges von Leningrad nach Westen.
Im Frühjahr macht sich ein Unterschied zwischen der finnischen und der estnischen Küstenstrecke des Eis
gebietes I geltend, derart, daß dann die estnische Küste mehr begünstigt ist. Dort handelt es sich nur um den Zer
fall des Küsteneisgürtels, aber bei Finnland handelt es sich außerdem um den Eisstrom von Osten her, der vor
dem Schärensaum westwärts geht und zu einer typischen Erscheinung des Eisgebietes II wird. Die Schiffahrt wird
darum von den finnischen Eisbrechern nach den Häfen Kotka und Wiborg vielfach innerhalb der Schären geleitet,
wo das mürbe Festeis nur geringen Widerstand bietet und keine akuten Erschwerungen zu erwarten sind.