Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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IX.
Vereisung: und Frostperioden, die Verbreitung der Extremwinter.
Bei Besprechung der Eisverhältnisse der einzelnen Stationen wurde wiederholt der Versuch gemacht, die
Eisperioden mit den Frostperioden in Beziehung zu setzen, da anzunehmen ist, daß diese die unmittelbare Ursache
der Eisbildung sind. Es hat sich dabei gezeigt, daß es nur in wenigen Fällen möglich ist, eine exakte Parallele zu
ziehen. Die Ursachen für dieses Verhalten sind verschiedener Art. Einmal verhindert der Wärmevorrat der Gewässer
vom Sommer her, der nur langsam an die kühlere Luft abgegeben wird, zunächst eine bestimmte Zeit die unmittel
bar eisbildende Wirkung der Frostperioden; sie „verpuffen“ sozusagen. Ihre Einwirkung beschränkt sich auf eine
Beschleunigung der Konvektionsvorgänge bis zu deren Beendigung durch die Erreichung des Stadiums der Homo
genität, d. h. der gleichen Dichte oberer und unterer Schichten. Danach erst besitzen die weiter abgekühlten
Wasserschichten der Oberflächenschicht eine geringere Dichte und bleiben an der Oberfläche. Die Zeit, die zwischen
erstem Frost und erster Eisbildung verstreicht, ist verschieden groß, je nach der marinen Beeinflussung des be
treffenden Gewässers.
Da der Finnische Meerbusen, wie im hydrographischen Teil betont wurde, ohne trennende Rücken frei mit
der Gotlandmulde der offenen Ostsee in Verbindung steht, werden seine Wassermassen von Westen her fortlaufend
und in ostwärts abnehmendem Maße mit salzreicherem und wärmerem Wasser vermischt, so daß die Gebiete, die
in enger Berührung mit diesem Wasseraustausch stehen, auch eine späte Vereisung aufweisen. Hier sind die Frost
perioden in der ersten Hälfte des Winters gar nicht eiswirksam, in der zweiten Hälfte dagegen spüren wir ihren
direkten Einfluß, wenn auch gerade hier dann noch andere Faktoren zu einer Vereisung allochthoner Art führen.
Die Gebiete, die sich bei Besprechung der Einzel Stationen als zu diesem hydrographischen Regime gehörig
erwiesen haben, sind der westliche finnische Meerbusen, und zwar mit einer Verlagerung nach der estnischen Küste
hin, die somit die Erscheinung der eisunwirksamen Frostperioden des Winters wesentlich länger und häufiger besitzt
als die finnische Küste. Ferner gehört dazu auch die Ostsee vor der Westküste der Inseln Dagö und Ösel, auch die
Gewässer der Pforte von Domesnäs—Zerel rechnen dazu, allerdings mit gelegentlich wechselndem Einfluß (vgl.
Abschnitt VI 42—44, X, 10). Schließlich müssen noch die mittleren und südlichen Teile des Rigaischen Meer
busens als diesem Regime unterworfen gelten. Es handelt sich, das sei noch einmal hervorgehoben, bei den aufge
zählten nicht um Gebiete, die überhaupt keine Eisreaktion gegenüber Frost besitzen, sondern lediglich um Gebiete
mit jener wiederholt festgestellten charakteristischen Zweiteilung des Winters in eine erste Hälfte ohne Eiswirk
samkeit der im übrigen zu den normalen Wettererscheinungen gehörenden Frostperioden, und in eine zweite Hälfte
mit einer solchen.
Die übrigen Eisgebiete zeigen schon beim Beginn des Winters nach Eintreten der ersten Frostperioden Eis
bildung, die auch oft schon zur endgültigen Hauptvereisung führt. Die extremsten Gebiete in dieser Hinsicht sind
die Buchten von Hapsal und Umgebung sowie die Bucht von Pernau, ferner gehört auch der östliche Finnische
Meerbusen in den meisten Wintern dazu. Von dort aus schiebt sich ein Küstensaum entlang der südfinnischen Küste
von ähnlichem Charakter vor, wird nur bei Hangö unterbrochen, um im Schärenmeer wieder breiter entwickelt zu
sein. In diesen Bereichen geht die Eisbildung mit den Frostperioden annähernd parallel, obwohl auch hier bei
spielsweise die Nachwirkung erhöhter Speicherwärme vom Sommer her wie besonders 1928/29 nicht gänzlich fehlt.
Am besten eignen sich natürlich die flacheren Binnenseen, wie z. B. der Peipussee, zur Feststellung einer Paralle
lität zwischen Vereisung und Frostperiode. Der Ladogasee reagiert zufolge seiner großen Tiefe anders.
Dargestellt zunächst an Hand des estnischen Materials seien im folgenden die Eiswinter ihrer Frostintensität
nach im Vergleich mit der gleichzeitigen Vereisung besprochen.