Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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zeitig auftretende, oft unterbrochene Vereisung Libaus. Es ist unter diesen Umständen zu erwarten, daß einzelne
Winter ganz ohne Eisbildung bleiben, und daß in manchen Fällen (1925/26, 1926/27) die Eisbildung im Früh
winter, bei entsprechenden Frühfrostextremen, einsetzt und im Hochwinter dann wieder ausbleibt. Bei der unter
intensiven Strömungseinflüssen stehenden Lage Libaus und der damit zusammenhängenden immer wieder genährten
Konvektion in unmittelbarer Hafennähe ist dies ohne weiteres verständlich.
VII. Die Eisstärke.
Die Eisstärke kann nur bedingt als ein Gradmesser für die Intensität der Vereisung herangezogen werden.
Kerneis, d. h. sich unter ruhigen Verhältnissen bildendes kristallines, klares Festeis, spiegelt noch am ehesten die
Parallelität mit den Temperaturkurven wieder. Es ist hierbei zu berücksichtigen, daß das Wachstum des Eises
mit zunehmender Stärke langsamer vonstatten geht, selbst wenn sich die Frosttemperaturen nicht ändern, oder
sogar tiefer liegen. Es hängt dies mit dem geringen Wärmeleitvermögen des Eises zusammen. Diese Eigenschaft
wird durch eine auflagernde Schneedecke, wie sie ja in den meisten Fällen vorhanden ist, noch verstärkt. So zeigt
also die Eisdecke weit geringere Schwankungen als die Temperaturkurve. Es wurde wiederholt bei einzelnen Sta
tionen auf dieses Verhältnis hingewiesen (vgl. S. 16).
Wenn also die Eisdecke wesentlich träger reagiert gegenüber plötzlichen Temperaturänderungen, so müssen
um so mehr die geringen Stärkeveränderungen berücksichtigt werden, da sie einer größeren Temperaturschwankung
entsprechen können. Während des Hochwinters bleibt die Stärke der Eisdecke fast überall ziemlich lange auf
einem Maximalwert. Das Maximum ist in besonders geschützten Orten, wie z. B. im östlichen Finnischen Meer
busen oder in den inneren Buchten des Rigabusens und der Inselschelfsee, auf einen Zeitraum von ein bis zwei
Monaten ausgedehnt. Die Höhe dieses Wertes ist etwas anderes. Diese schwankt zwar auch eng um einen Zentral
wert im ganzen Gebiet, aber im einzelnen ist z. B. ein hoher Stärkewert noch kein Beweis für eine lange Dauer
des Maximums.
Die Scharung der absoluten Stärkewerte um einen Mittelwert, selbst in milden Wintern, zeigt die schon
angedeutete Tendenz einer raschen anfänglichen Verstärkung und einer darauf folgenden großen Konstanz und
Reaktionsträgheit. Als mittlerer Wert kann für alle nichtmarinen Stationen im östlichen Finnenbusen 60—80 cm
angenommen werden, in den flachen Gewässern Estlands und Lettlands 40—50 cm. An den marinen Stationen er
reicht wirklich autochthones Festeis nur etwa 20 cm im Höchstfälle.
Anders verhält es sich jedoch mit den beweglichen Eisarten, bzw. denen, die aus solchen hervorgegangen
sind. Sie erreichen durch Unter- bzw. Überschiebung erhebliche Stärkewerte, die weit über denen des normal
gewachsenen Festeises liegen. Packeis kann sich auf Untiefen nicht nur im Finnenbusen, sondern ebenso auch im
Rigabusen (Doss, Lit. Nr. 43) zu Höhen um 10 m über Wasser türmen. Packeiswälle im freien Seegebiet er
reichen bei etwa 1 Meter Überwasserhöhe, und das dürfte für sie etwa der Durchschnitt sein, nach den Gleich
gewichtsgesetzen für Eis eine Unterwassermächtigkeit von 6—7 Meter, bei sehr stark kristallinem Eise sogar
noch mehr. Da jedoch das Eis der freien See infolge großer Schneebeteiligung meistens stark lufthaltig ist,
ist sein Gewicht geringer. Immerhin bilden derartig starke Packeiswälle ernste Hindernisse für die Schiffahrt,
obschon sie oberflächlich geringfügig erscheinen.
Treibeisschollen, namentlich wenn sie nach einem Sturme Zeugen eines ehedem festen Packeisgebietes sind,
zeigen deutlich ihre aus mehreren Schichten bestehende Struktur. Vielfach sind sogar innerhalb einzelner Schichten
noch die „Anwachsstreifen“ zu erkennen, als diese Einzelschichten noch Teile des Festeissaumes waren (vgl. Amold-
Alabieff, Lit. Nr. 22). Normalerweise erreichen treibende Schollen kaum eine größere Stärke als 2 Meter, meistens
nur etwa 1 Meter.
Es zeigt sich aus dieser kurzen Gegenüberstellung, daß die mechanisch erzeugten Eisdicken die gewachsenen
um ein vielfaches übertreffen. Demzufolge sind auch die Eisstärken entlang der Küste geringer als im Treib- und
Packeisgürtel der vorgelagerten Seegebiete. Freilich können im Treibeis und Packeis auch sehr dünne Nahtstellen
Vorkommen, wo sogar Wuhnen bestehen bleiben. Im Durchschnitt bereitet jedoch allein schon die größere Stärke
des See-Eises der Schiffahrt größere Schwierigkeiten als das Küsteneis, das zudem noch homogen, leicht brechend
und stilliegend ist.