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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und ,des Marineobservatoriums — 58. Band, Nr. 3
Der Eisbeginn fällt durchschnittlich auf den 15. Januar, also relativ spät, während die Enteisung am
25. April bis 1. Mai beendet ist. Dieses wider Erwarten späte Datum ist aus der Lage der Station verständlich,
denn Runö liegt noch im Bereich des ausgehenden Stromes des Rigabusens, der im Frühjahr die Eismengen von
Osten her mitbringt. Das fast ausschließlich anzutreffende Treibeis dürfte also großenteils allochthon sein. Ge
naueres darüber läßt sich leider nicht sagen.
Es sei noch bemerkt, daß die Verteilung der milden Winter bei Runö eine ganz andere ist als bei den
übrigen Stationen. Der mildeste Winter war 1929/30 ohne jede Eisbildung, dann folgte der von 1924/25 und erst
danach der von 1932/33. Auf diese Abweichung wird noch später in anderem Zusammenhänge zurückzukommen sein.
40. Die Eisverhältnisse von Haynasch.
Die Eisverhältnisse von Haynasch (Ainazi) schließen sich eng an die Temperaturverhältnisse von Riga an.
Die Vereisung, die durchschnittlich schwere Eislagen zeigt, beginnt schon im Dezember. Die Schwankungen inner
halb der zehn Berichtsjahre sind nicht so groß wie an anderen Orten, z. B. des Finnischen Meerbusens. Die Ausge
glichenheit beruht einmal auf einem konstanteren Temperaturverlauf der Winter und ferner auf der ausge
sprochenen Winkellage des nordöstlichen Rigaischen Meerbusens, wo die kontinentalen Einflüsse ähnlich wie bei
Leningrad vorherrschen. Zum Unterschied gegen den östlichen Finnischen Meerbusen macht sich hier der eis
begünstigende hydrographische Charakter des Rigaischen Meerbusens bemerkbar. So genügte der geringe Frost
des Winters 1929/30 bereits, um eine Packeisperiode einzuleiten, die länger anhielt, als in diesem allgemein mild
und eisarm verlaufenden Winter zu erwarten war. Andererseits trat 1924/25 gar kein Eis auf, obwohl im November
und Dezember zwei längere Frostperioden waren. Dies mit den vorher besprochenen Verhältnissen in Einklang
zu bringen, ist aber durchaus möglich. Es zeigt sich nämlich, daß Eisbildung erst dann einsetzt, wenn Frost von
unter —10° wenigstens an 1—2 Tagen aufgetreten ist. Die Vereisung braucht zwar dann noch nicht endgültig
zu sein, wie 1928/29, wo zudem ein warmer Sommer vorauf gegangen war, aber für das Auftreten des ersten Eises
überhaupt dürfte diese Beziehung stimmen. 1924/25 gab es nur leichten Frost, der keine Vereisung hervorrief.
Außerdem fiel der Frost hauptsächlich in den Frühwinter. Dagegen lagen die Dinge 1929/30 bei gleicher Kälte
summe insofern anders, als der Frost auf Ende Januar—Februar beschränkt war und auch Anfang Februar ein
Minimum von unter —10° aufwies. So waren trotz der Verspätung noch die Voraussetzungen für eine Vereisung
erfüllt.
Der erste strenge Frost tritt durchschnittlich, wie entsprechend auch das erste Eis, im Dezember auf, gleich
gültig, ob er der ersten, zweiten oder dritten Frostperiode angehört. Es ergibt sich hieraus, daß die Zahl der Frost
perioden an sich nicht an allen Orten maßgebend ist, sondern daß auch die Intensität wesentlich ist. Das gilt
besonders von strömungsarmen, seichten Gewässern, wie es der Rigaische Meerbusen bei Haynasch darstellt. Im
Finnischen Meerbusen mit seinen relativ lebhaften Strömungs- und Konvektionsverhältnissen liegen die Dinge
naturgemäß anders.
Starkes Festeis tritt nur bei tiefen Temperaturen auf, wobei allerdings zu bemerken ist, daß tiefe Tempe
raturen bei entsprechenden Windverhältnissen auch Packeis verursachen können. Auffallend ist der späte Beginn
der Festeisperiode 1928/29, nachdem schon einige Tage vorher sehr tiefe Temperaturen geherrscht haben. Ver
mutlich ist hier der voraufgegangene warme Sommer die Ursache, der eine erhöhte Speicherwärme bedingte, eine
Vermutung, die auch bei anderen Plätzen für diesen Winter viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Trotz der „kon
tinentalen“ Lage treten Vorperioden bzw. rasch wechselnde Eisarten relativ häufig auf, für beide Erscheinungen
sind gleiche Ursachen anzunehmen, der Unterschied liegt nur in der Intensität und der Richtung des Windes, der
selbst neben Strömung, Meereswärme, Witterungsumschwüngen und Wetterhaftigkeit ein Bestandteil des Ursachen
komplexes ist. Jedenfalls handelt es sich bei Haynasch schon um ganz andere kontinentale Einflüsse, die denen
ähnlich gelegener Meeresteile wie der Bottenwiek oder der Reede von Kronstadt nicht gleich sind.
Ist somit der Eisbeginn recht veränderlich, so zeigt der Verlauf, wie bereits erwähnt, z. T. erheblich schwie
rige Eisverhältnisse. Gegen Schluß der Eisperiode, d. h. nur wenige Tage vor der Enteisung, gerät das Eis fast
regelmäßig ins Treiben. Ende April—Anfang Mai tritt dies ein, nachdem bis kurz zuvor noch unvermindert schwere
Eiszustände herrschten. Selbst 1926/27 ging die Enteisung rasch vor sich, sogar früher als gewöhnlich, obwohl
die Hauptvereisung schweres Packeis und Eispressungen aufwies, also das extremste Prädikat in dieser Richtung.
Das Ausbleiben des Frostes im März verfehlte seine Wirkung nicht, und der erneute Frost Ende März half nicht
mehr viel. Auch 1927/28 herrschten etwas merkwürdige Verhältnisse. Trotz durchaus mäßiger Kältesumme ent
stand die längste kontinuierliche Vereisung mit zudem schweren Eisarten. Wesentlich war hier, daß schon im
Dezember die Temperaturtiefstwerte auftraten und so den Verlauf vorbereiteten.